Innere Gemeinschaft wirkte nach außen, Teil II

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Lacktablett „An der Straße nach Zittau“, um 1830. Foto: © Heimatmuseum der Stadt Herrnhut
Lacktablett „An der Straße nach Zittau“, um 1830. Foto: © Heimatmuseum der Stadt Herrnhut

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Musik, Mission, Museum

Von Anfang an spielte Musik in Herrnhut eine bedeutende Rolle. In den Gottesdiensten wurde ausgiebig gesungen und musiziert. Es gab eigene Liedgottesdienste, die „Singstunden“. Bereits 1735 erschien ein erstes umfangreiches Herrnhuter Gesangbuch. Konnte nicht Musik die Bande zwischen Himmel und Erde vertiefen? In den weltweiten Herrnhuter Siedlungen verbreitete sich diese Musiktradition international bis in die entferntesten Missionsgebiete.

Am Gründungsort selbst entstanden kunstvolle Kantaten und Festmusiken und mit Streichensemble und Chorgesang aufgeführt. 1731 bildete sich der heute älteste kirchliche Bläserchor. An Feiertagen spielte er morgens auf den Straßen als Weckdienst. Den Tod von Gemeindemitgliedern gaben geblasene Choräl bekannt. 

Herrnhuter Missionare sammelten vielfach Naturalien und Zeugnisse der fremden Kultur an ihren Missionsorten. Sie wollten dort die Natur, die Lebensformen der indigenen Gesellschaften und das Denken der fremden Kulturen in den Missionsgebieten erforschen. 1878 entstand in Herrnhut der Museumsverein (der Vorläufer des heutigen Heimatmuseums und des Völkerkundemuseums). Die Axt kehrte aus Grönland zurück und erhielt in Herrnhut einen Ehrenplatz.

Zufallsentscheidungen spielten in der Gemeinschaft schon lange eine besondere Rolle. So sollten sie unter den Willen Gottes gestellt werden. Wie öfter im Pietismus ließ sich die Bibel mithilfe des „Däumelns“, also des absichtslosen Aufschlagens an einer zufälligen Stelle, als Orakel benutzen. Daraus entwickelte sich die Praxis der Losungen. Mit Bibelworten als tägliche „Losungen“ und dem Gebrauch von Losen zur Klärung von wichtigen Entscheidungen stellte sich die Gemeinde unter die direkte Leitung Gottes.

Aufbruch zu neuen Ufern

Und wie führte Gott den Geist der Gemeinschaft weiter? Beim 50. Jahrestag der Unitäts-Knabenanstalt in der Außenstelle Kleinwelka schwebte 1821 im Hof ein erster beleuchteter Herrnhuter Stern mit 110 Zacken – zunächst zum Dreikönigsfest. Schnell übernahmen weitere Einrichtungen diese Idee und hängten die Sterne zum ersten Advent auf. Zunächst waren sie weiß und rot – für die Reinheit und das Blut Jesu.

1897 erfand der Geschäftsmann Pieter Hendrik Verbeek das erste zusammensetzbare Modell. Es war nun verschickbar. Zunächst bildeten 25 Zacken einen stabilen Papierstern rund um einen Blechkörper mit Schienen. Darauf ließen sich weitere 17 viereckige und acht dreieckige Zacken aufschieben. Durch ein offenes Viereck ließ sich der Stern mit einer Petroleumlampe oder durch elektrisches Licht beleuchten.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich auch Nicht-Herrnhuter vor Ort an. Die Trennung zur kommunalen Gemeinde erfolgte 1895. Es gibt auch einen eigenen Friedhof für sie. 

Dank der Lage auf einer Anhöhe spielten Hochwasser und Überschwemmungen, die in der Gegend häufiger waren, in Herrnhut keine Rolle. Doch die Angst vor verzehrenden Bränden war allgegenwärtig. Die Feuerordnung, die Erdmuthe Dorothea von Zinzendorf schon 1756 ausgearbeitet hatte, wie Konrad Fischer betont – hatte 140 Jahre Bestand. Trotzdem gab es im 20. Jahrhundert mehrere Großbrände. 

Besonders verheerend war ein Stadtbrand nach dem Einzug der Roten Armee am 8. Mai 1945: Sowjetische Soldaten legten Feuer in dem bis dahin kaum von Kriegsschäden betroffenen Ort. Dies zerstörte fast ein Drittel der Stadt. In der Asche fand sich aber die Gründungs-Axt wieder. Nun war ihr der Ehrenplatz im Museum sicher.

Ein besonderer Glücksfall für das Heimatmuseum war der Ankauf
eines Hauses in den 1960er-Jahren von einer letzten Nachfahrin einer alten Herrnhuter Familie gewesen, berichtet Fischer. Es hatte Jahrzehnte lang unrenoviert vor sich hingeschlummert. Viele Einrichtungs-
gegenstände geben noch einen unveränderten Einblick in den Geist der Biedermeierzeit vor nun 200 Jahren. 

In ihm befindet sich jetzt das Heimatmuseum. Natürlich scheinen sich Herrnhuter-Gemeinschaft und Biedermeier auf den ersten Blick zu widersprechen, gibt Konrad Fischer zu. Doch der beiderseitige Rückzug ins Stille und Private bietet Anknüpfungspunkte. Das half den Herrnhutern auch in der DDR-Zeit, obwohl es natürlich viele Spannungslinien zum atheistischen Staat gab und Herrnhuter zudem am 17. Juni und 13. August feierten.

Nach der Wende 1989 gelang ein Neustart. Die verschiedenen Gemeinschaften der Herrnhuter – auch sie getrennt in Ost und West – konnten sich wieder zusammenfügen. „Beim Leben im atheistischen Staat waren die Fronten klarer“, ergänzt Peter Vogt.

Mehr Infos zum Jubiläum https://www.300jahreherrnhut.de/. Ausstellung im Völkerkundemuseum Herrnhut noch bis 27. November geplant. Täglich außer montags 9 bis 17 Uhr.