„Ich habe Angst – gar nichts weiß ich“

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Kinder haben in der Charkower Metro Schutz gesucht.
Kinder haben in der Charkower Metro Schutz gesucht. Foto vom ersten Kriegstag von Michail vor Ort.

Kontakte zu den ukrainischen und russischen Partnergemeinden sind wichtiger denn je

Von Flugzeuglärm und Explosionen wachte Tamara am frühen Morgen des 24. Februar auf. Die ältere Dame lebt in einem Vorort von Kiew. Pfarrer Ralf Haska war noch am selben Tag in direktem Kontakt mit ihr. Schließlich ist sie ein ehemaliges Gemeindemitglied von ihm. Bis 2015 war er selbst Pfarrer in der lutherischen Kiewer St. Katharinenkirche. Inzwischen betreut er die oberfränkische Kirchengemeinde Marktleuthen/Großwendern. In Gesprächen mit dem Sonntagsblatt gab er mehrfach aktuelle Informationen aus seinen Kontakten weiter. 

Denn noch immer ist er mit der Ukraine vernetzt. So auch mit Tamara, deren Nachnamen er zu ihrem Schutz nicht nennen will. Sie versuchte noch am 24. Februar zur Arbeit zu fahren. Wenige Minuten später war sie bereits nach Hause zurückgekehrt – zu unübersichtlich ist die Situation unterwegs. „Ich sammelte meine Dokumente und Medikamente ein.“ „Ich habe Angst. Gar nichts weiß ich.“ Noch habe sie Vorräte, schrieb sie ihm. Und was geschieht mit ihrem Hund?

Sie harrt dort aus, obwohl ihre Datscha keinen Keller hat und ihre Tochter und Enkel in Deutschland sind. Ebenso die 70-jährige Valentina. Ihre Kinder und Enkel seien auf dem Land in Sicherheit. Noch funktionierten bei ihr Wasser und Strom.

Sorgen auch der Kirche

„Wir leben in großer Sorge,“ schrieb auch Katherina, Sekretärin von Bischof Pavel Shvartz von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine (DELKU) am ersten Kriegstag. „Sorge um die Situation, unser Land und um uns selbst. Sollen wir bleiben oder nicht? Diese Frage treibt uns um. Wir beten und vertrauen darauf, dass Gott uns helfen wird und allen Politikern Weisheit geben wird, das wir wieder in Frieden leben können.“ 

Auch Bischof Shvartz, mit dem der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm noch vor Kriegsausbruch ein Videogespräch führen konnte, hat seine Frau, eine Polin, und seine Kinder in die Westukraine gebracht. Er ist nun zurück in seiner Gemeinde in Charkiw, knapp 500 Kilometer östlich von Kiew. Er rief nun eindringlich dazu auf, „für die Menschen in der Ukraine, die russischen und ukrainischen Konfliktparteien, vor allem aber für den Frieden zu beten“.

Ralf Haska ist auch mit einem freikirchlichen Pastor in Kontakt – auch hier zu seinem Schutz keine Namensnennung. Auch dieser Pastor brachte zunächst nach Kriegsausbruch seine Familie zu Freunden in die Westukraine. Er konnte berichten, dass sie erst einmal in Sicherheit seien. Nun ist auch er wieder auf dem Rückweg nach Charkiw: „Putin wird jetzt nicht unsere Rücken sehen, sondern unsere Gesichter“, schrieb er.

Hilflos den Schrecken ertragen

„Viele Menschen haben gar nicht das Geld“ gen Westen zu fliehen, ergänzte Ralf Haska. Gerade ältere Menschen aus seiner Gemeinde können auch schon nicht in normalen Zeiten von ihren Renten leben, so dass sie zusätzlich arbeiten müssen. Wohin sollen sie? 

Ralf Haska bewegt auch das Schicksal der ostukrainischen Stadt Nowoaidar. Sie lag bereits vor Kriegsbeginn nur etwa 20 Kilometer von der Waffenstillstandslinie von 2014 zum Luhansker Gebiet entfernt. Mehrmals war Haska in seiner Zeit als Kiewer Pfarrer vor Ort. Er versorgte dort ein Schulinternat für behinderte mittellose Kinder. Auch zum nahegelegenen Krankenhaus brachte Haska Medikamente. Das wurde bereits am ersten Kriegstag beschossen, hörte er. Bis Redaktionsschluss erreichte er im Kinderheim niemanden weder telefonisch noch per E-Mail. Er hält es für möglich, dass Evakuierungen laufen.

Der jetzige Kiewer Pfarrer Matthias Lasi, aktueller Nachfolger Haskas, berichtete schon vor dem Krieg, dass sich jeder, der konnte, „auf den Ernstfall“ vorbereitet hätte. Er schaffte es kurz vor Kriegsbeginn nach Deutschland zurück.

Allein schon Benzin war zu Kriegsbeginn äußerst knapp. Die Tankstellen sind überfüllt mit langen Schlangen von Autos aus der Ostukraine, die schon geflohen sind und dringend weiteren Sprit benötigen.

Es gab nach Kriegsbeginn auch kein Benzin an den Tankstellen Odessas im Südwesten an der Schwarzmeerküste mehr, ergänzte der dortige Pfarrer der DELKU, Pfarrer Alexander Gross: „Wir hoffen auf Nachschub. Aber die Ausfallstraßen Richtung Westen sind sowieso gesperrt.“ Er selbst soll seine Familie noch Richtung Rumänien gebracht haben.

Nun versucht er eine Suppenküche für Binnenflüchtlinge aufzubauen, die das Gustav-Adolf-Werk unterstützen will. Doch seien die Läden leer, er versucht dazu gerade Lebensmittel aufzutreiben.

Und es ist für Gross wichtig zu betonen: „Es gibt eine Menge informierter Russen, die kein Verständnis für Putins Handeln haben.“ Nun habe sich gar der zuständige Bischof des Moskauer Patriarchats in der Ukraine für die Ukraine eingesetzt. Man müsse für „unsere ukrainischen Soldaten“ beten. In der Ukraine sei das eine Überraschung gewesen.

Metropolit Onufrij, bat Putin um ein sofortiges Ende dieses Bruderkriegs. Der Krieg zwischen den Brudervölkern „ist eine Wiederholung der Sünde Kains, der seinen eigenen Bruder aus Neid erschlug. Für einen solchen Krieg gibt es keine Entschuldigung. Ich appelliere an den gesunden Menschenverstand, der uns lehrt, unsere irdischen Probleme im gegenseitigen Dialog zu lösen.“

Kontakte zu Russland

Auch aus Russland hörte das Gustav-Adolf-Werk (GAW) solche Stimmen der Fassungslosigkeit über den Krieg: „Wir sind entsetzt und erschüttert, ich schäme mich russischer Staatsbürger zu sein. In der Kirche machen wir uns Sorgen um unsere Familien und unsere Glaubensgeschwister.“ Der evangelisch-lutherische Erzbischof Dietrich Brauer in Moskau zeigte dem GAW seine Verzweiflung. Er verstehe sein Land nicht mehr. Er könne das Geschehen nicht mehr hinnehmen, andererseits sei er gegenüber seinen Gemeinden verantwortlich. Er sitze zwischen allen Stühlen.

Aus Samara an der Wolga schrieb Pröpstin Olga Temirbulatowa noch vor dem Krieg: „Leidtragend sind bei allem die einfachen Menschen – schon jetzt leiden sie unter den Spannungen und spüren das auch an steigenden Preisen. Als Christen teilen wir die Besorgnis über die aktuelle Situation mit allen friedliebenden Menschen.“ Aktuell wollen sie Unterstützung für Flüchtende organisieren, die aus der Ostukraine in ihre Regionen unterwegs sind.

Das GAW ist mit Partnerkirchen in Polen, der Slowakei und Ungarn in Kontakt, die von Westen her Hilfskorridore in die Ukraine organisieren wollen. Mehr Informationen unter https://glauben-verbindet.blogspot.com/2022/02/nothilfe-fur-die-ukraine-lauft-bitte.html

Spenden für das GAW, Stichwort „Nothilfe“: Sparkasse Neuendettels-au, IBAN: DE 17 7655 0000 0760 7022 17, BIC: BYLADEM1ANS oder VR-Bank Mittelfranken West, IBAN: DE65 7656 0060 0000 0245 54, BIC: GENODEF1ANS.

Redaktionsschluss: 28.2.2022