Ein unmöglicher Kompromiss?

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Unterzeichnung Anglo-Irischer Vertrag 1921
Die irische Verhandlungsdelegation am 6. Dezember 1921: links Arthur Griffith, dritter von links am Tisch Michael Collins. Foto: akg

Anglo-Irischer-Vertrag vom 6. Dezember 1921: Zeugnis kommunikativer Katastrophe 

Als „größten Tag der Geschichte“: So bezeichneten die britischen Verhandlungsführer den 6. Dezember 1921. Dabei war es mitten in der Nacht nach 2 Uhr, als endlich die Unterschriften ihren Weg auf das Dokument auf den Anglo-Irischen Vertrag fanden. Am Abend des nächsten Tages konnten sich die irischen Unterhändler – vor allem Arthur Griffith und Michael Collins – bei ihrer Abreise aus London nur mühsam einen Weg durch jubelnde Menschenmassen zum Zug bahnen. 

Und das in einem der raren historischen Fälle, in dem Menschen die Verkleinerung eines Landes bejubelten: Südirland sollte als Freistaat einen Dominion-Status wie Kanada erhalten, Beamte und Politiker hatten einen Eid auf den britischen König zu leisten, die Insel sollte zwischen Süd und Nord geteilt sein, der sechs der neun Grafschaften Ulsters erhielt. Die endgültige Grenze sollte eine Kommission noch festlegen.

In Dublin erwartete die Delegierten nur eisige Ablehnung. Der Präsident und Unabhängigkeitsführer Éamon de Valera, der den Verhandlungen ferngeblieben war, zeigte sich um die Selbstständigkeit betrogen. Er war nur mühsam dazu zu bewegen, den Vertragstext überhaupt zu lesen und die Delegierten anzuhören. So zeigen sich die Verhandlungen über den historischen Anlass hinaus als erschütterndes Beispiel missglückter Kommunikation.

Folge der Gewaltdrohung

Die britische Verhandlungsdelegation hatte kurz zuvor damit gedroht, Irland mit einem „schrecklichen und sofortigen Krieg innerhalb von drei Tagen“: Auch hundert Jahre danach diskutieren Geschichtsforschende darüber, ob sich diese Drohung hätte verwirklichen lassen? Damals regierte Großbritannien fast ein Drittel der Welt und war gerade als einer der Siegermächte aus dem Ersten Weltkrieg zurückgekehrt. Andererseits waren sie wirtschaftlich abhängig von der neuen Macht USA. Die stand gerade am Vorabend einer neuen Abrüstungskonferenz.

Aber auf der britischen Seite des Verhandlungstisches saßen die absoluten Profis der Politiker einschließlich Winston Churchill. Kein Bluff war es sicher, dass sie einfach keine Lust mehr hatten, sich noch länger mit Irland zu beschäftigen. 

Der Erste Weltkrieg hatte Großbritannien wirtschaftlich massiv geschwächt. Arbeitskämpfe erschütterten das Land, Wirtschaftsumwälzungen drohten. Im Kolonialreich grummelte es massiv in Palästina, Mesopotamien oder in Indien – um nur die brennendsten zu nennen. Großbritannien setzte zwischen den Kriegen auf ein „Weiter so“ und verschleppte viele Probleme, die nach 1945 noch unentwirrbarer waren.

Andererseits schwächte es die irischen Unterhändler allein schon, dass ihre Galionsfigur Éamon de Valera nicht an den Gesprächen teilnahm. Über konkrete Punkte hatte er öfter uneindeutige Signale gesendet, doch schon im Vorfeld mehrfach ein mögliches Zurückweichen vor einer Drohung abgelehnt. 

Auch Collins hatte sich gesträubt, an den Gesprächen teilzunehmen, dann aber eingelenkt. Die Delegierten hatten Angst, dass Telefonate abgehört oder Nachrichten abgefangen würden. So pendelten Boten oder die Unterhändler nach Dublin – die Fahrt dauerte eine Nacht.  Die Delegation selbst waren tief gespalten. Sie hatten keine Scheu, sich gegenseitig anzuschreien, sobald sich die Türen hinter sich schlossen – trotz ihrer Sorge vor dem Abhören der Telefone. Arthur Griffith wollte schon länger unterzeichnen.

Eine unabhängige und ungeteilte Republik Irland war schon Anfang 1921 nicht durchsetzbar. Hatte sich de Valera vor den Verhandlungen gedrückt, weil er dies ahnte? Dieser Vorwurf kam schnell auf und hält der historischen Analyse stand. In der entscheidenden Nacht hielt sich de Valera zudem in Westirland auf. „Unerreichbar“, schimpften die Delegierten in London.  Doch versuchten sie auch nicht wirklich, ihn zu kontaktieren. In einer kurzen Taxifahrt am 5. Dezember entschied sich Collins zur Unterschrift. Das alles wirkt wie eine perfekte Performance gegenseitiger Verweigerung.

Selbst das offizielle arrangierte Foto (oben) der irischen Delegation nach der Unterzeichnung spricht da Bände: Eine geschlossene Gruppe nach einem gemeinsamen Ergebnis sieht anders aus. Sie meiden die Blicke untereinander und teils zum Publikum. Keine Erleichterung oder Vergleichbares lässt sich hinter ihren Masken erahnen, eher so etwas wie Trotz. Und dabei waren sie noch gar nicht zu Hause empfangen worden!

Wäre mehr möglich gewesen?

Nur: Hätte eine bessere Kommunikation mehr erreichen können? Schließlich war auch noch die nord-irische Seite nicht zu vergessen. Sie wollte unbedingt von einem unabhängigen Südirland getrennt bleiben. Sie hatten es bereits in die Wege geleitet. Doch Schweigen empfing auch die nordirischen Delegierten: Die drohende Grenzkommission gefiel dort gar nicht. 

„Im Wettbewerb zwischen einem großen Reich und einer kleinen Nation war dies das Meiste, was ein kleines Land erreichen konnte: so lange das Empire nicht zerstört ist, kann Irland nicht mehr erreichen“, so rechtfertigte Collins den Vertrag. 

Es folgten bittere Diskussionen im irischen Parlament – über mangelnde Tapferkeit oder Realitätssinn der Gegenseite. Zu einem größeren Ereignis der Geschichte gerieten sie so wohl nicht. Es fehlten Visionen – wie es zu Beginn einer Selbstverwaltung auch möglich gewesen wäre. Mit der engen Mehrheit von 64 zu 57 Stimmen stimmte das irische Parlament am 7. Januar 1922 dem Vertrag zu. Und noch knapper mit 60 zu 58 Stimmen wählte es Arthur Griffith zum neuen Präsidenten. Éamon de Valera ging, „solange das Volk nicht entschieden hat“. 

Das tat es im Juni: 58 Sitze gingen an Vertragsbefürworter, 36 an die Gegner unter Führung de Valeras, 17 an Labour, weitere 17 an Sonstige. Auch 20 der 26 südirischen Grafschafts-Verwaltungen waren dafür.  Daraufhin de Valera: „Auch eine Mehrheit hat nicht das Recht, das Falsche zu tun.“ Kommen heute wieder solche Fragen zurück?

Fast gleichzeitig brach ein Bürgerkrieg aus. Griffith erlag am 12. August 1922 einem Herzversagen. Michael Collins geriet zehn Tage später in einen Hinterhalt und wurde erschossen. Dennoch waren die Freistaatler nach blutigen Monaten und gut 1.500 Todesopfern erfolgreich: Sie setzten sich 1923 durch.

Ah, da war ja noch was: Die Grenzkommission mit Nordirland. Dazu hatte Michael Collins noch Vorteile für den Süden erhofft: Er hatte sogar gemeint, zwei der sechs nordirischen Grafschaften dort herausbrechen zu können – und damit die Region ihrer Lebensfähigkeit berauben zu können. Das war jedoch vor dem Bürgerkrieg gewesen. Und der Norden hatte nichts Vergleichbares hinter sich. Als die Kommission endlich 1924 zusammentrat, war aber der Freistaat durch den Bürgerkrieg mehr geschwächt: Nichts änderte sich.