Bronze-Zwerge in der Breslauer City zeigen die wechselvolle Entwicklung der Stadt auf
Überall in der Breslauer Innenstadt wuseln sie zwischen den Füßen umher: Die Zwerge sind allerorten, wenn auch meist nur etwa 30 Zentimeter groß. Mehr als 600 sollen es inzwischen in der Innenstadt sein. Dabei waren sie einst ein Zeichen des Widerstands, erklärt Stadtführerin Monika Trznadel. Sie führt für das Polnische Fremdenverkehrsamt auch auf Deutsch. Die Opposition hatte in den 1980er Jahren in Breslau mit Demonstrationen im Zwergenkostüm Kritik am kommunistischen Regime in Polen geübt.
Der „letzte Gefangene“ (Foto in der Mitte), wie alle seine „Kollegen“ aus Bronze, betrachtet vom ehemaligen Stadtgefängnis der Oder-Stadt aus das Treiben. Nach ersten Einblicken ins herbstliche Breslau in der vergangenen Woche helfen sie uns die Entwicklung besser zu verstehen.
Dieses trutzige Gefängnis ersetzte nach etwa 1550 die Kerker im Rathaus und begleitete seitdem die wechselvolle Geschichte Breslaus. Damals hatten gerade die Habsburger Schlesien bekommen. Vier Mal änderte sich Grundlegendes in der Geschichte der Stadt und Region.
Alle 200 Jahre Neuorientierung nötig
Und das fast regelmäßig alle 200 Jahre: Auch vor dem Beginn der Habsburgerzeit lässt sich so zurückrechnen: Nach dem Tod des letzten polnischen Piastenherzogs Heinrich VI. im Jahr 1335 kam Schlesien und damit auch Breslau, das schon seit 1261 das Magdeburger Stadtrecht besaß und Hansestadt war, zum Königreich Böhmen. Somit war es Teil des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Bürgerschaft und Bischof auf der Dominsel konkurrierten um die prächtigsten Kirchenbauten. Damals herrschte der Vater des Kaisers Karl IV. in Prag.
Nun aber herrschte um 1530 sein Namensvetter Karl V. In Breslau entstand nicht nur das Stadtgefängnis, sondern nach mehreren Anläufen auch die Universität der Jesuiten in barocker Pracht. Die Stadtführerin zeigt gerne die prächtigen Aulen, die neu restauriert wurden. Und das in der Stadt, in der früh Humanisten und Reformatoren wirkten. Eine erste evangelische Predigerstelle gab es 1523 an der Magdalenenkirche, berichtet Trznadel. Die Habsburger mussten jedoch 1648 im Westfälischen Frieden die Religionsfreiheit und evangelische Gottesdienste in Breslau anerkennen. Denn Breslau war eine große Handelsmacht. Die Zwerge im Zentrum schleppen oft Waren. Oder schlafen als Wachleute mit Hellebarden an Straßenecken. Spätestens jetzt war Breslau die „Stadt der hundert Kirchen“.
1742 – also auch wieder rund 200 Jahre nach dem Beginn der Habsburger Herrschaft – eroberte der Preußenkönig Friedrich II. Schlesien. Kurz danach durften sich wieder Juden vor Ort ansiedeln. Nach Pogromen hatten sie 300 Jahre zuvor die Stadt verlassen müssen.
Neue Perspektiven für Breslau
Die Hungeraufstände der Schlesischen Weber in den 1840er Jahren berührten Breslau nur am Rande. Dagegen profitierte die Stadt wirtschaftlich als Industriestandort. Schon 1842 erreichte sie 100.000 Einwohner – nach Wien, Berlin, Prag und Hamburg als fünfte Großstadt im Deutschen Bund. 1875 war sie mit knapp 240.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt im Kaiserreich, 1900 mit 420.000 Menschen aber nur noch die fünftgrößte.
Gerhart Hauptmann, Edith Stein, Adolph von Menzel oder Ferdinand Lassalle stammen von hier. Und Dietrich Bonhoeffer wurde in der Breslauer St. Elisabethkirche getauft, bevor er als Junge mit seiner Familie nach Berlin ging. Ein Denkmal dort erinnert an ihn (mehr dazu folgt).
Auch die jüdische Bevölkerungsgruppe wuchs: 1854 entstand ein weithin bekanntes Rabbinerseminar. Um 1890 gab es in Breslau mit 17.750 Menschen nach Berlin die zweitgrößte jüdische Gemeinde im Kaiserreich. Die jüdische Bevölkerung wurde 1941/42 deportiert.
Für die anderen Bewohner war Breslau wie eine Insel des Friedens mitten im Zweiten Weltkrieg. Erst Ende 1944 fielen die ersten Bomben. Zwerge eilen mit Feuerwehrschläuchen zur zentralen St. Elisabethkirche. Doch brannte sie erst 1975, nicht schon 1945. Denn Breslau sollte zum Kriegsende eine Festung gegen die russischen Vorstöße werden: Anfang 1945 war sie eingekesselt, aber kapitulierte erst am 6. Mai 1945 – kurz vor Kriegsende.
Flucht und Vertreibung – mehrfach
1945, wieder zwei Jahrhunderte nach Friedrich II., wurde Schlesien nach dem 2. Weltkrieg polnisch. Bald wurden die Deutschen aus Breslau vertrieben. Gleichzeitig kamen viele Polen nach Schlesien, die wiederum aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten, die nun die Sowjetunion annektierte, vertrieben worden waren. 1948 lebten noch 7.000 Deutsche dort – meist Facharbeiter, die bleiben mussten.
1946 lebten über 100.000 Juden in Niederschlesien – Überlebende der KZ Auschwitz sowie Groß-Rosen kaum 70 Kilometer entfernt. Sie konnten nicht mehr in ihre ostpolnische Heimat zurückkehren. Nicht alle gelangten nach Israel. Für die Zurückgebliebenen blieb lange die Lage schwierig.
Doch besteht bis heute die Synagoge „Zum Weißen Storch“, die 1938 wegen der engen Bebauung der Umgebung unzerstört blieb. Nun bildet sie einen Schwerpunkt im „Viertel der vier Konfessionen“ zusammen mit den Kirchen „Zur göttlichen Vorsehung“ und St.-Christophori sowie der orthodoxen Kathedrale und der katholischen Kirche St. Antonius wenige Gehminuten entfernt wie Monika Trznadel zeigt. Dort südlich der Altstadt musiziert ein ganzes Zwergen-Orchester vor dem neuen Kulturforum.
Kurz nach der Jahrtausendwende tauchten die ersten Zwerge in Breslau auf. Längst sind sie eine Touris-ten-attraktion. Vielfach sind sie als Werbeträger übernommen worden – selbst von Hotels. Ebenso hat sich etwa das „Konspira“ vom Widerstandsnest zum gemütlichen und leckeren Restaurant entwickelt – wie Monika Trznadel zeigt. Auch das Ex-Stadtgefängnis ist längst ein angesagter Klub.
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