Lutherische Akzente in polnischer Diaspora

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Zum Reformationsfest in der Breslauer Diaspora
Pfarrer Karol Długosz in der Breslauer St.-Christophori-Kirche nach dem Reformationsgottesdienst. Zentrales Kreuz auf dem Breslauer Laurentius-Friedhof am 1. November. Fotos: Borée

Entdeckungsreisen zum Reformationsfest und Novemberbeginn in Breslau

„Ein feste Burg ist unser Gott“: Das klang am Reformationstag im westpolnischen Breslau morgens auf Deutsch und abends auf Polnisch. In der Christophori-Kirche feiert Pfarrer und Propst Administrator Karol Długosz zweimal das Reformationsfest. Organist Tomasz Kmita-Skarsgård begleitete dies meisterhaft auf der Orgel. „In der Gemeinde hängt das Kreuz an der Wand, nicht der Pass“, so Karol Długosz. Die lutherische St.-Christophori-Gemeinde Augsburgischen Bekenntnisses (A. B.) direkt am Rande der Breslauer Altstadt ist mehrsprachig. Zu den rund hundert Gemeindemitgliedern gehören noch einige ältere Menschen, Überlebende der deutschen Zeit vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Dann Zugezogene aus den letzten Jahren nach dem EU-Beitritt Polens. Und erst zu Pfingsten waren sieben Neumitglieder eingetreten. Und Amerikaner im deutschsprachigen Gottesdienst wünschen sich einen lutherischen Gottesdienst auf Englisch. Dies wird nun geplant. 

Schließlich engagiert sich Karol Długosz mit einem weiten Horizont: Während seiner Ausbildung wurde nicht nur ein Soziales Jahr in der Nähe Hamburgs für ihn wichtig, sondern auch ein längerer Aufenthalt in England. Ursprünglich stammt er vom Ostseestrand. Er hatte Ämter in unterschiedlichen Regionen Polens inne, darunter auch bei der Bischofsverwaltung in Warschau. 

Sobald es wieder kälter wird, sollen dort im Anschluss an den Gottesdienst wieder Suppen und heißes Wasser mit Teebeuteln in Thermo-Behälter an Bedürftige verteilt werden. Schon im vergangenen Corona-Winter gewann die Gemeinde Erfahrungen mit der hygienekonformen Verteilung dieser Gaben. 

Friedhof im Kerzenmeer

Noch herrschte dort ein goldener Herbst am Übergang zum November. Bereits am Abend des Reformationstages war auch der ehemalige Friedhof der protestantischen Gemeinde im Breslauer Vorort Sepolno, ehemals Zimpel, in Kerzenschein getaucht. Dort, rund fünf Kilometer von der St.-Christophori-Kirche entfernt befindet sich das Gemeindezentrum des Pfarrers Karol Długosz am Stadtrand. Er lebt dort mit seiner jungen Familie, nachdem er zum 1. August diese Pfarrstelle übernahm. 

Sein Vorgänger, Andrzej Fober, hatte sie bis zu seiner Pensionierung 21 Jahre lang inne. Im Gemeindezentrum können Besucher in den modernen und gemütlichen Gästezimmern übernachten. Die Gustav-Adolf-Gedächtniskirche vor Ort ist aber vermietet. Der ehemalige Luther-Friedhof in Sepolno ist seit der Nachkriegszeit katholisch. Die Lutherrosen am Tor hatten allen Stürmen der Zeit getrotzt. 

Allerheiligen auf einem polnischen Friedhof – das ist alles andere als eine stille Angelegenheit: Das war am kommenden Abend unüberhörbar. Aufgeregt schrie der Opa auf dem zentraleren Lauren-tius-Friedhof in sein Handy. Und das mitten auf dem Friedhof. Auf einer Klappbank saß er am Grab. Offenbar dirigierte er anscheinend seine Familie dorthin. Hunderte, tausende Menschen drängten an ihm vorbei: Um ihn herum ein Lichtermeer schon in der Dämmerung. 

Endlich hatte der Opa am Grab einen Familienkreis um sich versammelt. Auch sie zündeten die Seelenlichter an und stellten die mitgebrachten ausladenden Blumenstauden mit vielen weißen Blüten oder auch mehrfarbig aufs Grab. Die Schutzgläser der Lichter sind durchscheinend weiß, nicht gedeckt rot. Sie ließen sich ebenso wie die Blumengestecke noch direkt vor den Friedhofstoren von fliegenden Händlern erwerben. Viele Gläubige drängten sich um das zentrale Kreuz auf dem Friedhof. Es war von einem Lichtermeer umgeben. 

Dafür schrie auf dem Rückweg vom Kreuz der Opa auf der Klappbank schon wieder sein Handy an: Die Familie hatte das Weite gesucht. Sollten noch mehr kommen?

Evangelische Spuren

Rund 72.000 der knapp 38 Millionen Polen gehören zur Evangelisch-Augsburgischen Kirche in der Republik Polen. Dann gibt es kleine Reformierte und Methodische Kirchen: In Breslau findet sich noch die ursprünglich reformiert geprägte Hof-Kirche „Zur göttlichen Vorsehung“ nur wenige hundert Meter von St.-Christophori entfernt mit rund 800 Gemeindemitgliedern. Inzwischen gehört sie auch zur Evangelisch-Augsburgischen Konfession, ist aber rein polnisch-sprachig. 

Nun ist in der Evangelisch-Augsburgischen Kirche auch der Weg frei für die Frauenordination: Doch konnten schon zuvor die Diakoninnen Gottesdienste halten, sogar Ehen schließen und Sakramente austeilen, so Karol Długosz. Nur bisher nicht die Gemeindeleitung innehaben. Doch sei noch ihre gleiche Bezahlung ungeklärt ebenso wie Fragen der Sozialgesetzgebung für sie, etwa bei Mutterschaftsurlaub. 

Wichtig ist dem Pfarrer auch der Religionsunterricht. Er wird in Gemeindehäusern nach der Schule gehalten, doch so ist Karol Długosz besser abgesichert. Viele seiner Kollegen sind als Militärgeistliche eingesetzt – dann bezahlt sie der Staat. 

Soziale Akzente setzen

Aus Spenden, meist durch deutsche Johanniter, speist sich der Verleih an Rehabililations-Geräten der Christophori-Gemeinde in Sepolno. Dort befindet sich auch der Stützpunkt von Gemeindeschwester Lidia Podžorska. Ein Johanniter-Wappen hängt ebenfalls in der St.-Christophori-Kirche. Die Geräte sind genauso begehrt wie die zentrale Suppenküche. Genauso wohl bald bitter notwendig. Und beliebt wie die Friedhöfe zu Allerheiligen. 

=> Mehr Infos auch auf Deutsch unter https://schg.pl/de/