Heilige Unberechenbarkeit verdichtet

1851
Kurt Marti, Dorothee Soelle und Adolf Muschg
Kurt Marti, Dorothee Sölle und Adolf Muschg, Bern 1989.Foto: Hektor Leibundgut, Bern

Lebenslinien in Gottes Hand: Kurt Marti 1921 geboren – scheinbar einfache, doch feurige Rede von Gott

Der Traum vom Entschweben – gerade zu Pfingsten. Kurt Martis „pfingstmorgen“ erinnert mich an die scheinbar naiven Alltagsbilder Marc Chagalls, in denen ganz beiläufig das Wunder der Leichtigkeit aufbricht.

Vor hundert Jahren erblickte Kurt Marti das Licht der Welt. Sein Leben ist an sich schnell erzählt: „Brillenträger seit dem fünften Lebensjahr, deshalb Abneigung gegen Gewalt von früh an.“ So beschreibt er selbst seine Kindheit. Dann folgte eine „gradlinige Schulzeit bis zur Matura“, also bis zum Abitur, teils mit Friedrich Dürrenmatt als Mitschüler. „Wie ein erleuchtender Blitz trafen mich im Deutsch-Lesebuch zwei Gedichte von Stefan George, die im Unterricht unbehandelt blieben, mir aber zeigten, was Poesie sein kann.“ Diese Worte findet er für seine Jugend, wie auf der Webseite der Kurt-Marti-Stiftung ersichtlich.

Dann folgte sein Theologiestudium, teils bei Karl Barth in Basel. Ab 1950 wirkte Marti als Pfarrer. „Nach und nach kamen vier Kinder zur Welt. Ich begann zu schreiben und erste Poesie- und Prosa-bändchen zu veröffentlichen.“ Nach 1961 war er bis 1983 Pfarrer in Bern. Danach ließ sich Kurt Marti „etwas vorzeitig pensionieren, um mehr Zeit für das Dichten zu haben.“ Erst 2017 verstarb er. Das war‘s. Nein, da war noch viel mehr. Das Wesentliche spielt sich in den Gedichten ab. 

Gebete in knappster Form

Immer mehr bedeutete ihm das Schreiben. Einige von Martis Texten ließen sich als „neue geistliche Lieder“ vertonen. Sie sind Gebete in knappster Form. Der Berner Pfarrer ist der Meister der nüchternen Sprache. Kaum verwunderlich, dass er die konsequente Kleinschreibung in der Poesie bevorzugte. So ringt Marti um Gott, um den Glauben und um die persönliche verantwort-

liche Lebensführung. Er wirkte bescheiden, scheu. Zwischen Sprachspiel, theologischem Tiefgang und verdichteter Gestaltungskraft strahlen seine oft kurzen Gedichte ihre Kraft der Leichtigkeit  und scheinbar einfacher Prägnanzaus. Etwa in seinem Glaubensbekenntnis von 2011: „Ihm, Jesus, glaube ich Gott.“

Aktuell und übergreifend: Packende Auseinandersetzungen

In theologischen Büchern oder kirchlichen Schreiben vermisse er zu oft die „Schönheit“. So bedauert Kurt Marti in seiner Kolumne für die Zeitschrift Reformatio aus dem Jahr 1979. Fortlaufend schrieb er dort von 1964 bis 2007. Die Kolumnen sind nun neu gesammelt. Gut 40 Jahre trennen uns von dieser Beobachtung: Hat sich da nun Entscheidendes geändert?

Vom Prager Frühling bis zur Schweizer Politik ist es eine zeitgeschichtliche Fundgrube. Dazwischen verstreut sind Gedanken über Poesie, Theologie oder den Alltagsbeobachtungen. Vieles ist als Zeitzeugnis bedenkenswert, manches lädt zum übergreifenden Nachdenken ein. 

Theologischer Sprache misstraute er: „Vielleicht hält Gott sich einige Dichter, damit das Reden von ihm jene heilige Unberechenbarkeit bewahre, die den Priestern und Theologen abhanden gekommen ist.“ Die Lehre von Gott war nach seinem Empfinden zu sehr auf den religiösen, kirchlichen Raum eingegrenzt, anstatt „zur Profanität befreit“. Er schrieb gegen politische Verharmlosungen an.

Da erscheint Kurt Marti auch oft leidenschaftlich. In dem schmalen Band „geduld und revolte“ etwa fasst er Gleichnisse und Jesusworte in Collagen gegenüber den aktuellen Missständen. Trotz seiner leisen Worte engagierte er sich leidenschaftlich für eine bessere Gesellschaft, gegen den Vietnam-Krieg und für benachteiligte Länder. Dies führte ihn durchaus mal vor Gericht. Die Universität Bern lehnte einen Lehrauftrag für ihn ab.

Dorothee Sölle prägte ihn besonders. Ihre feministische Theologie sprach ihn unmittelbar an – theoretisch. Die Familie hielt selbstverständlich seine Frau Hanni zusammen. In den nachgelassenen Gedichten zum Jubiläum unter dem Titel „Hannis Äpfel“ setzt er jedoch der Liebe zu seiner Frau ein Denkmal. Ihren Tod 2007 überwand Marti nur schwer.

Gleichzeitig nähert er sich medi-tativ den schwierigsten theologischen Problemen. Neben der Erscheinung Gottes und seines Geistes in dieser Welt dachte Marti auch intensiv über dessen dreieinige göttliche Gestalt nach. Sie nannte er 1981 ganz bewusst „Die gesellige Gottheit“. Gott war für ihn in Gemeinschaft bis hin zur Liebesbeziehung. Dadurch ist seine Dreieinigkeit unmittelbar bedeutsam. Gott gesellt sich nicht nur zu sich selbst, sondern damit zu den Menschen. Er ist da im Alltag „als gott / im schrei der geburt / die gottesbilder zerschlug“, wie es wieder scheinbar naiv in einem Gedicht in „geduld und revolte“ heißt.

https://kurtmarti.ch/biographie/

– Kurt Marti: geduld und revolte. gedichte am rand, Radius 2017, 104 Seiten, ISBN 978-3-87173-921-7,
12 Euro. 

– Kurt Marti: Hannis Äpfel, Gedichte aus dem Nachlass. Hg. Guy Krneta. 90 Seiten; ISBN 978-3-8353-3893-7 Wallstein-Verlag 2021; 14,90 Euro. Zitierte Gedichte aus diesem Nachlass.

– Kurt Marti: Notizen und Details 1964–2007. Kolumnen aus der Zeitschrift Reformatio, Hg. von Hektor Leibundgut, Klaus Bäumlin, B. Schlup. 1.422 Seiten; Wallstein 2021; ISBN 978-3-8353-3895-1, 39 Euro.

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