Das Gute im Schlechten finden

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Sabine Dinkel und Alexej Lachmann waren 20 Jahre ein Paar. Im letzten Sommer verstarb sie. Foto: privat
Sabine Dinkel und Alexej Lachmann waren 20 Jahre ein Paar. Im letzten Sommer verstarb sie. Foto: privat

Lebenslinien in Gottes Hand: Abschied nehmen in Corona-Zeiten

Corona war für uns –  auch wenn es komisch klingt – ein Geschenk!“. Davon ist Alexej Lachmann überzeugt.

Seine Frau Sabine Dinkel bekam im Herbst 2015 ihre Diagnose: Eierstockkrebs. Im Februar 2020 wurden bei ihr Metastasen im Kopf festgestellt. 

Da packten Sie ihr Auto voll mit Taschen und Koffern sowie den zwei Bassethund-Damen Frieda und Wilma und machten sich auf den Weg, die letzten drei Wünsche im Leben von Sabine Dinkel zu erfüllen: Ein Konzert der Band „Deichkind“, ein Urlaub im Strandhaus in ihrem geliebten Dänemark und die Fertigstellung ihres fünften Buches.

Ende des normalen Lebens

Der ersten Lockdown im März beendete frühzeitig ihren Urlaub. Auf dem Weg zurück nach Hamburg telefonierte Sabine Dinkel mit ihrer Freundin, die auf der Hälfte des
Rückweges ein – coronabedingt geschlossenes – Seminarhaus betrieb.  „Kommt doch her und besucht uns. Das Haus ist leer!“ Mit der Vorstellung, ein paar Tage mit den Freunden unter einem Dach zu wohnen und sich gleichzeitig zu verabschieden, sagten Dinkel und Lachmann zu. 

Keiner konnte da ahnen, dass daraus 90 Tage werden würden. 

„Das war ein großes Glück für uns – in dieser sehr besonderen Zeit. Es war Glück, mit den Freunden unter einem Dach zu wohnen und vieles, was den Alltag erschwert, abgenommen zu bekommen – wie kochen oder einkaufen. Wir hatten ansonsten alles dabei, was für einen längeren Aufenthalt gebraucht wird, da wir ja gerade aus dem Urlaub mit dem voll gepackten Auto kamen. Die Hunde hatten ein geräumiges Zuhause mit riesigem Garten und Spielkameradin. Wir waren eingebettet in einem wohlmeinenten und freundschaftlichen Umfeld. Sabine und ich verbrachten viel Zeit miteinander. Bei Spaziergängen mit den Hunden ebenso wie mit Gesprächen über Ihr Buch. Diese Zeit war so wichtig. Gerade, wenn ich weiß, dass sie in absehbarer Zeit enden wird.“ Er empfindet es noch immer als absolutes Geschenk. Ein inniges Zusammensein – ohne große Verpflichtungen des gewohnten Alltags in Hamburg. Sein Büro verlegte er ins Homeoffice  – ein Zimmer weiter. 

90 Tage Abschied vom Leben

Diese 90 Tage mit dem Abschied vom Leben kosteten beide aus. „Wer hat denn sonst auch die Möglichkeit im normalen Alltag, so eng und so viel zusammenzusein. Wir haben es beide genossen.“

Der Frühling zeigte sich von seiner schönsten Seite. Nach dem Lockdown kamen oft Freunde vorbei, es wurde gegrillt und die Hunde gestreichelt. Sabine Dinkel lag im Garten in einem Liegestuhl und nahm teil. „Ich mag es hier. Einfach nur „zu sein“. Mal sitze ich hier, mal liege ich dort. Es gibt hier so viele schöne Ecken“, so schrieb sie in ihr Tagebuch. Schmerzen hatte sie kaum. Der Krebs ließ sie „in Ruhe“ und auch die Angst, die sie oft verspürte und von ihr den Namen „Hildegard“ bekam, hielt sich zurück. 

„Ich bin einfach nur froh und glücklich. Ich fühle mich wohl und angenommen! Ich habe noch so viel Lust auf Dinge. Und so lange das so ist, lebe ich munter weiter.“

Die Arbeit an ihrem letzten Buch – ein Arbeitsbuch zu ihrem Ratgeber „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht“ – ging gut voran. Irgendwann kam der Augenblick, an dem es fertig war. 

Die letzten drei Wünsche in ihrem Leben waren somit erfüllt.

„Dein Tod war angekündigt. Das Leben ging dir aus. Unwiederbringlich schlich es aus dir hinaus“, zitiert Alexej Lachmann einen Liedtext der von ihr so geliebten Band „Tocotronic“ die nun folgenden Wochen. 

Aber auch hier ließ sich in all dem Schmerz Gutes finden: Es gab letzte gemeinsame Besuche im Wochenendhäuschen. Dann folgte der Aufenthalt im Hospiz, in das Alexej mit den Hunden ins Nachbarzimmer mit einziehen konnte. Es durften Freunde zum Abschied kommen – und das alles inmitten der Pandemie mit strengen Hygiene Auflagen. Aber hier wurde vieles möglich gemacht um die letzten Tage so lebenswert wie möglich zu gestalten. 

Und dann starb sie.

„Ich war mit den Hunden noch mal kurz raus. Eine von ihnen
drängelte, zurückzugehen. Ich folgte dem Impuls, kam am Bett von Sabine an und kurze Zeit später hat sie sich auf den Weg gemacht und ihren „Durchschlupf in eine andere Welt“ gefunden. Sie hat damit auf mich gewartet, bis ich an ihrer Seite war.“

Die Urnenbeisetzung fand in einer Kirche und auf einem Friedhof statt, den beide lange Zeit vorher ausgewählt hatten. „Im Grunde genommen war das auch ein Glücksfall: Der richtige Zeitpunkt, an dem sie verstarb. Zu dieser waren die  Corna- Bestimmungen zufällig gerade nicht ganz so streng, wie kurz zuvor oder auch wieder nach der Beisetzung. So gab es eine für uns alle stimmige Trauerfeier, die für mich selbst und für die Familie und Freunde wichtig war. Immerhin durften 55 Personen dabei sein. Und auch das Beisammensein im Anschluss in einer Gartenkneipe war zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit.“

„In vielerlei Hinsicht gab es gelungene Glücksmomente, wohlgesonnene Augenblicke und große Freundlichkeit in einer Zeit mit so besonderen Herausforderungen von Trauer und Abschied unter Corona-Bedingungen“, fasst Lachmann zusammen. Vielleicht sind es auch die Früchte der jahrelangen, gemeinsamen „Übungen“ von Dinkel und Lachmann, in jeder noch so miesen Situation das Glück zu finden, die nun ins Körbchen purzelten. 

„Das Gute im Schlechten zu finden: das kann man lernen. Das gilt es, Tag für Tag zu trainieren. Das Schlechte ist ja meistens immer von allein da“, weiß Lachmann. „Das Gute muss man manchmal ermutigen, damit es sich aus seinem Versteck herauswagt.“ 

Das Buch von Sabine Dinkel „Krebs ist, wenn man trotzdem lacht: Wie ich von heute auf morgen Krebs hatte und wieder zu neuem Lebensmut fand“ ist im Humboldt- Verlag erschienen und kostet 19,99 Euro.