Engel, Endzeitglaube und Einzelerkenntnis

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Bauten des Herodes als Bollwerke: Klagemauer als Westmauer des Tempelneubaus und Massada mit Blick auf das Tote Meer. Fotos: Archiv Borée
Bauten des Herodes als Bollwerke: Klagemauer als Westmauer des Tempelneubaus und Massada mit Blick auf das Tote Meer. Fotos: Archiv Borée

Bollwerke des Glaubens in den unruhigen Generationen vor der Zeitenwende

Auf die Ruhe folgte der Sturm: Die persische Zeit war eine Epoche des Atemholens für Juda in einer toleranten Welt. Doch setzte in der hellenistischen Zeit ab 332 vor Christus (die Jahreszahlen beziehen sich wieder auf Daten vor der Zeitenwende) mit dem anscheinend aufgeklärten Hellenismus eine Zeit der Unsicherheiten Bedrängnisse und Machtkämpfe, so Dieter Vieweger in seiner „Geschichte der biblischen Welt“. Was konnte zum Bollwerk werden? 

Es war aber auch eine Zeit, in der der Schutz der Engel gefragt war wie nie zuvor. Die Idee der geflügelten Gottesboten war durch die persische Religion mitgeprägt: Dort waren mit göttlichen Funken berührten Helfer und Boten zu den Menschen unterwegs, um ihnen den Willen und Schutz des Höchsten weiterzugeben. Und dies in der Bibel direkt zu den Einzelnen, die Gott ohne unangefochtene moralische Autoritäten gegenüberstanden.

„333 – Issos-Keilerei“: Damals siegte Alexander der Große gegen die Perser. Ein Jahr später nahm er die Gegend um Israel und Juda ein. Schnell zerschlug er das Perserreich – doch schon 323 starb er. Sein Reich teilten sich seine Heerführer: Juda lag mal wieder an der Grenze zwischen den beiden Konkurrenten der Ptolemäer und Seleukiden. Die Königsherrschaft Gottes, endzeitliche Vorstellungen, die Macht des Bösen, aber auch der Schutz von Boten Gottes waren neue Themen der Epoche, so Vieweger.

Engel schützten die Gläubigen und wiesen ihnen einen Weg

Dem soll genauer nach gegangen werden. Detaillierte Beschreibungen der Gottesboten finden sich bereits im Buch Henoch, wohl aus dem 3. Jahrhundert, das aber keinen Eingang in den Kanon fand. Bei einer Reise durch zehn Himmel treten Engel mit genauen Aufgaben und ihre Eigenschaften auf. Erzengel mischen mit. In dieser nachexilischen Zeit ist das himmlische Hofstaat Vorbild des irdischen Tempeldienstes.

Dieser war bedroht. Aufgrund ihrer fortwährenden Kämpfe hatten die konkurrierenden hellenistischen Machtblöcke größtes finanzielles Interesse an Tempelabgaben aus Jerusalem. Wer ihre Unterstützung benötigte, vergriff sich gerne mal am Tempelschatz. Und wälzte die Steuerlast an die unteren Schichten ab. Deren Lage verschlechterte sich immer mehr, obwohl neue landwirtschaftliche Anbaumethoden der griechischen Kultur die Erträge steigerten.

Der Aufstand der Makkabäer lässt sich da nicht nur als einen jüdischen Freiheitskampf gegen die Fremdherrschaft deuten, sondern auch als innerjüdischen Bürgerkrieg. Fast unentwirrbar sind da um das Jahr 170 die Interessen zwischen konkurrierenden Familien um die Macht und um das Hohepriesteramt. 

Erfolge und Machtstreben der Makkabäer

Nachdem die Seleukiden auch direkt den Tempel entweiht hatten, rebellierte der Priester Mattatias. Seine Söhne Judas, Jonatan und Simon führten die makkabäische Bewegung nach einigem Hin und Her zum Erfolg. Besonders der jüngste Bruder Simon nutzte ab 142 die Krise im Seleukidenreich erfolgreich als Hohepriester und Herrscher. Sein Sohn Johannes Hyrkanos I. gründete die Dynastie der Hasmonäer. Und betrieb seinerseits Machtpolitik. 

Er zerstörte den Tempel von Samaria auf dem Garizim im Jahr 129. Trotz ihrer gemeinsamen Wurzeln in der alttestamentarischen Königszeit und des gemeinsamen Glaubens an JHWH trennten sich jüdischer und samaritanischer Glaube zunehmend voneinander. Das Nordreich lehnte alle Schriften außer der Thora ab. Erst unter Pompeius und Herodes erfolgte Jahrzehnte später ein Wiederaufbau Samarias. Die Makkabäerbücher in den Jahren um 100 erscheinen nicht mehr nur Hoftheologie, sondern auch Mahnung an den aktuellen Herrscher durch das Vorbild der Vergangenheit. 

Apokalyptische Schriften mit linearem Weltbild waren äußerst erfolgreich: Das Schicksal der Welt und des Einzelnen stellte sich in dieser Epoche. Gegen die böse Welt siegt letztlich das Gottesreich – doch erst nach vielen Kämpfen. 

Danielbuch meditierte über endzeitliche Hoffnungen

Besonders wichtig war das Danielbuch. Es dachte über alte Gesetzes-treue und neue endzeitliche Hoffnungen nach. Es beschrieb erstmals das Schicksal eines Einzelnen und seinen Schutz durch Gottesboten. Engel verschließen den Löwen die Mäuler, als Daniel zu ihnen in die Grube geworfen wird (Dan 6,23). Engelsfürst Michael ist nach Dan 10,13 und 12,1 für Israels Schutz zuständig.

Die Psalmen beschreiben Erfahrungen von Menschen, die von Gott bewahrt werden, auch als Engelsschutz. Im Tobitbuch begleitet der Erzengel Rafael schützend Tobias auf der Reise seines Lebens. Hier werden Vorstellungen der griechischen Mythologie aufgenommen. Da treten die Daimones als persönliche göttliche Schutzgeister von Menschen auf. Die Fragen nach Grenzen der Anpassung unter andersgläubigen Herrschern finden sich im Estherbuch ebenso behandelt wie bei Judith. So gab es damals mehrere Nuancen des Umgangs mit der griechischen Kultur – nicht nur die Wahl zwischen Gesetzestreue und Abfall. 

Weisheitslehre bot jenseits der apokalyptischen Hoffnungen einen weltgewandteren Weg aus der Krise an: Jesus Sirach, Prediger und Weisheit Salomos zeigte, dass eine gebildete aber auch thoratreue jüdische Lebensweise den Sinnangeboten des Hellenismus überlegen ist. Vieles war diskussionswürdig. Doch nicht alles schaffte es in die sich ausformenden Heiligen Schriften. 

In der realen Welt setzten sich Zwietracht und Machtkämpfe fort. Die Söhne des Johannes Hyrkanos I. unterwarfen sich dem Römer Pompeius anno 63. Herodes setzte sich in den Wirren der römischen Bürgerkriege durch: Er beherrschte 40 bis 4 vor Christus fast schon ein Großreich von Judäa, Samaria, Galiläa bis ins Ostjordanland. Gewaltsam beendete er die Bürgerkriege. 

Aufstieg des Herodes

Die brachliegende Wirtschaft bekam wieder Schwung – und füllte seine Tasche. Er förderte sowohl das Judentum als auch die griechisch-römische Kultur. Seine Bauten ließen sich nur mit neuen römischen Techniken schaffen: Der Palast in Jericho, die Festung Massada, der prächtige Neubau des Tempels und die romanisierte Stadt Caesarea sind nur die bekanntesten. Seine Nachfolger teilten das Reich. Sie vermochten keine allgemein akzeptierte Herrschaft mehr zu etablieren, so Vieweger. War nicht die Endzeit nahe? 

In der aufgeheizten Atmosphäre führte ein Funke 70 nach Christus zum jüdischen Krieg: Bekanntlich siegten die Römer und zerstörten den Tempel. Bis ins Jahr 73 hielten sich jüdische Kämpfer ausgerechnet in der herodianischen Festung Massada. Ihre Verteidigung und letztlich ihr wohl angeblicher Freitod wurde zum Mythos: Er wirkte in den modernen Staat Israel nach. Auch die Klagemauer des Herodes Tempels blieb. Genau wie Massada wurde sie zu einem Symbol, einem Bollwerk jüdischen Glaubens. 

Vieweger: Geschichte der biblischen Welt, 3 Bde, 2019, ISBN 978-3-5790-1479-1.

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