Wiederaufbau des Tempels und Zusammenstellung Heiliger Schriften in der Perserzeit
Der Wiederaufbau des Gotteshauses oder der Kampf gegen Hunger und Elend: Was sollte geschehen? Das ist keine Frage unserer Zeit. Nein, bereits vor zweieinhalb Jahrtausend stand sie zur Diskussion.
„Tröstet, tröstet mein Volk!“ So beginnen die Kapitel des Deutero-Jesaja. Dieser „zweite Jesaja“ setzt die Schriften des Jesajabuches ab Kapitel 40 fort. Im Unterschied zu den ersten 39 Kapiteln, die bereits kurz vor der Eroberung des Nordreichs Israels 722 vor Christus geschrieben sein müssen, entstand dieser Teil des Prophetenbuches wohl fast 200 Jahre später. Sie erwähnen zwei Mal den Perserkönig Kyros (Jes. 44, 28 und 45, 1), der 539 vor Christus Babylon eroberte (alle Jahreszahlen hier beziehen sich auf Ereignisse vor der Zeitenwende).
Der oder vielleicht auch die Verfasser des zweiten Jesaja-Buches verstehen das Exil als Strafe des jüdischen Volkes. Sie ist beendet. Nun wird Gott es ins Land Israel zurückführen. Nach dem Sieg des Kyros durfte das jüdische Volk aus der
Babylonischen Gefangenschaft zurückkehren. Allerdings gibt es keine weiteren außerbiblischen Quellen, die das Geschehen bestätigen. Den Persern und den umliegenden Völkern scheint die Existenz der Juden da nicht wichtig genug gewesen zu sein, um ihre Befreiung, Rettung oder Rückkehr zu dokumentieren.
Karos-Zylinder gebot Toleranz
Es gab allerdings eine allgemeine Rückkehr-Erlaubnis des Eroberers Kyros II. für die von den Babyloniern verschleppten Völker. Auch ihre Götter durften „heimkehren“. Dies ist in dem Kyros-Zylinder dokumentiert, so Dieter Vieweger im dritten Band der „Geschichte der biblischen Welt“, die mit der Perserzeit beginnt. Die persische Religion und ihr Herrschaftsverständnis waren ungewohnt tolerant. Doch die biblischen Schriftsteller deuteten die „Umbruchsituation im biblischen Dukturs als Beleg der Weltherrschaft JHWHs“, erläutert Vieweger weiter.
Die Rückkehr von angeblich mehr als 42.000 Menschen ins Heilige Land ist wohl orientalisch hochgegriffen: Wie sollten alle diese Rückkehrer Land und Brot finden? Denn Juda war keineswegs menschenleer. Offenbar längst nicht alle Bewohner waren verschleppt worden. Nun mussten sich Heimkehrende und Zurückgebliebene ein Land teilen, das Dürre, Missernten und Naturkatastrophen überzogen.
Religiöse Begeisterung für den Tempelbau
Trotzdem sollte ein Kraftakt geschehen: Der Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem. Die Propheten Haggai und Sacharja bezeugen die enge Verbindung der religiösen Begeisterung mit messianischen und endzeitlichen Hoffnungen auf eine neue Welt. Die vier Reden Haggais lassen sich genau auf Ereignisse im Jahr 520 vor Christus datieren.
Etwa zeitgleich begeisterte sich Sacharja (Kapitel 1 bis 8) für den Wiederaufbau des Tempels. Doch sind beide Prophetenbücher wohl später deutlich überarbeitet. Im Sacharja-Buch sind die Kapitel 9 bis 11 erst nach 500 entstanden und der Rest erst wohl in der hellenistischen Zeit nach 330.
Zwar soll der Tempel exakt 70 Jahre nach der Zerstörung wieder im Jahr 515 vor Christus geweiht worden sein, doch das „kann entweder in Jerusalem so bewusst arrangiert oder im Nachhinein so datiert worden sein“, so Vieweger. Es gab massive Schwierigkeiten bei seinem weiteren Aufbau. Dabei blieb es für die nächsten 70 Jahre.
Aber Eile war geboten: Nachdem die Hilfe der Samaritaner im ehemaligen Nordreich Israel beim Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels abgelehnt worden war, bauten sie Mitte des 5. Jahrhundert ebenfalls ein Heiligtum für JHWH: auf dem Berg Garizim bei Sichem. Auch dort galt die Thora als religiöser Maßstab – jedoch ohne Ausrichtung auf das Zentrum in Jerusalem.
Nehemia und Esra wirken
Dann kam Nehemia nach Juda. Er soll zunächst als Mundschenk mit judäischer Abstammung beim Perserkönig Artaxerxes gewirkt haben. Hier beginnen schon die Schwierigkeiten: Denn es gab gleich drei Könige dieses Namens. Vermutlich ist Artaxerxes I. gemeint, der 465–424 vor Christus herrschte. Dann wurde Nehemia im Jahr 444 vor Christus zum Statthalter der persischen Provinz Jehud ernannt. Diese Zeit scheint nach Vieweger gesichert, da Namen aus seinem Umfeld kurz danach in Papyri außerbiblisch belegt sind. Er ließ die Stadtmauern Jerusalems wieder aufbauen. Doch war der Tempel auch zuvor nicht ungesichert, meint Vieweger, da die Perser die Sicherheit garantierten.
Für die Durchsetzung der Reformen sorgte der Priester Esra. Mit ihm hätten sich noch einmal rund 1.500 Menschen auf die Rückkehr nach Jerusalem gemacht. Esra sollte tragfähige Strukturen für die innere Ordnung des Judentums schaffen. Doch ist ungeklärt, ob er vor Nehemia, gleichzeitig mit ihm oder nach ihm nach Jerusalem kam – falls seine Person nicht ohnehin fiktiv ist.
Beide Persönlichkeiten scheinen erst später miteinander verknüpft worden zu sein. Zentrale Aspekte der Reform Esras waren die Einhaltung des Sabbats, die Erhebung des Zehnten und das Verbot, „fremde“ Frauen zu heiraten. Doch gerade dies wird in anderen Schriften deutlich diskutiert. Das Buch Ruth, das wohl auch zu dieser Zeit entstand, spricht sich ausdrücklich dafür aus.
Die Bücher Esra und Nehemia zeigen in sich starke Brüche wie den Wechsel der Erzählerperspektiven, von hebräischen und aramäischen Abschnitten sowie von verschiedenen literarischen Gattungen, die bis hin zu Listen oder Gebeten reichen.
Wie das Alte Testament entstand
Wahrscheinlich kombinieren sie Teilvorlagen aus verschiedenen Traditionen. Sie zeigen zusammen mit den Chronik-Büchern ein einheitliches Weltbild, aber Unterschiede und Brüche. Es entstand wohl nicht vor dem Jahr 400. Wahrscheinlich finden sich mehrere Redaktionsstufen in ihnen: Der Prozess der Vereinheitlichung war wohl erst in hellenistischer Zeit – also rund hundert Jahre danach – abgeschlossen.
Gleichzeitig fügten Gelehrte die Priesterschrift (1. Mose 2–8, 22; vgl. Sonntagsblatt-Nr. 6) zur Thora hinzu, nachdem schon ein Großteil im babylonischen Exil entstanden war. Ist ihre Zusammenstellung von außen, durch persische Autoritäten legitimiert worden? Oder brachte gar Esra sie nach Jerusalem mit (Esra 7)?
Wahrscheinlich ist die Entstehung komplex und zieht sich durch die Jahrhunderte. Es ist das theologische Konzept vom Abfall des Volkes vom Bund, Strafe und Vergebung Gottes. Israel hat sich aber auch um Missstände zu kümmern, sonst verzögert sich das Heil. Da geschah in den 200 Jahre der Perserzeit trotz aller sozialen und wirtschaftlichen Probleme nicht nur der Tempelbau. Nein, auch die Ausformulierung des Alten Testaments, das nun im Wesentlichen entstand.
Dieter Vieweger: Geschichte der biblischen Welt, 3 Bände, Gütersloh 2019, ISBN 978-3-5790-1479-1.