War Lukas in Wahrheit Lydia?

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Petronilla und Veneranda, Domitilla-Katakomben, Rom um 350.Bild: akg
Petronilla und Veneranda, Domitilla-Katakomben, Rom um 350.Bild: akg

Der Nürnberger Pfarrer Habbe hält Lydia für die Autorin des lukanischen Doppelwerks

Wer hat das Lukas-Evangelium und die Apostelgeschichte geschrieben?

Sie erscheint in der Mitte des Werkes: In der Apostelgeschichte 16,14 lässt sich die Purpurhändlerin Lydia als erste Christin in Europa von Paulus bekehren. „Eine Stelle, an der ein antiker Autor manchmal eine Signatur hinterlässt“, meint Joachim Habbe. Lydia ist ferner eine wohlhabende, gebildete und gottesfürchtige Frau – sie steht also trotz griechischer Herkunft dem Judentum nahe. 

Sie kennt Philippi als ihre Heimat genau. „Das lukanische Doppelwerk stammt aus Philippi.“ Das meinte nach Habbe bereits Peter Pilhofer in seinem Buch über „Philippi“ von 1995 aufgrund der Ortskenntnisse. Ab da ist auch öfter ein „Wir“ in der Apostelgeschichte unterwegs. Abgesehen von ihrer Bekehrungsgeschichte

wird im „lukanischen Doppelwerk“ noch weitere drei Mal gesagt, dass die Botschaft Jesus das Herz von Menschen anrührt.

Jedes Mal sind es Wendepunkte: Bei Maria in der Weihnachtsgeschichte (Lk 2,19 und 51), den Emmausjüngern (Lk 24,32) und bei der Pfingstpredigt (Apg 2,37).

Frauengeschichte erzählt?

Zu der These, dass es sich bei der Verfasserin der Werke um eine wohlhabende und griechisch geprägte Frau handelte, die sich dem Judentum zugewandt hatte, führen für Habbe mehrere Beobachtungen: „Im Vergleich der synoptischen Änderungen fällt auf, dass beim Gleichnis vom Senfkorn die Pflanze vom wildwachsenden Bereich in den Garten verlegt wird, dem Bereich der Frau im hellenistischen und lateinischen Bereich (Lk 13,19).“ Auch das lukanische Sondergut behandelt in besonderem Maße die „Gefühlswelt der Frauen“ – etwas bei Jesu Geburt oder bei dem Verhältnis zu seiner Mutter. „Die theologisierende Frau (Martha und Maria) fällt hier genauso auf wie die Nennung der Jüngerinnen Maria, Johanna und Susanna in Lk 8,2.3.“ Nirgendwo erscheinen mehr Frauen in der Nachfolge Jesu oder begegnen ihm.

Wohlhabende Frau?

Joachim Habbe hält den Autor oder die Autorin des lukanischen Doppelwerkes für wohlhabend: In Lk 22,18 ist selbstverständlich Wein im Kelch, was nur für Reiche erschwinglich war. „Im Bereich des Sonderguts ist das Interesse und die Selbstverständlichkeit des Reichtums augenfällig: Der reiche Kornbauer, das Mastkalb beim verlorenen Sohn und anderes mehr.“ 

Selbst Frauen erscheinen vermögend: „Beim Gleichnis von der verlorenen Drachme springt das förmlich ins Auge, eine Frau, die eine Drachme verlieren kann und dann auch noch ein Fest für ihre Freundinnen geben kann, gab es damals nur selten. So etwas konnte es eigentlich nur im Umfeld großer Städte des römischen Reichs geben, im hellenistischen oder italienischen Reich. Auch die Frau mit dem Salböl gehört in diesen Bereich.“

Gebildete Griechin

In seinem Artikel „Das Weihnachtsevangelium des Lukas“ trägt Wolfgang Stegemann im Korrespondenzblatt Nr. 12 aus dem Jahr 2015 Belege zusammen, die auf ‚Lukas‘ als einen Proselyten hindeuten. Das waren Heiden, die sich dem Judentum zugewandt hatten. „So erfüllen sich nach Lukas die alttestamentlichen Verheißungen in der Geburt Jesu, wieder besonders deutlich im Lobgesang Hannas (einer Frau!). In diesen Zusammenhang gehören auch die Petrusreden Apg 10 und 11 und die Paulusrede Apg 17“, meint Habbe. Öfter erwähnt die Apostelgeschichte wohlhabende Frauen in Gemeinden, die Paulus besucht. Die Verteilung des eigenen Besitzes zwischen Gemeindemitgliedern ist da öfter ein Thema.

„Nur, wenn Lydia eine Witwe ist, kann sie als junge Frau einen Purpurhandel selbständig führen und war damit jung genug, um Jahrzehnte später das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte zu schreiben.“  

Auch auf mögliche Einwände geht Habbe ein: „Wieso erwähnt Paulus Lydia nicht im Philipperbrief, sondern nur Evodia und Syntyche? Die Lösungsmöglichkeiten können nur spekulativ sein: Es handelt sich um Taufnamen: ‚Die, die den guten Weg geht‘ und ‚Die Glückliche/Erfolgreiche‘. Eine davon ist mit Lydia gleichzusetzen, evtl. spiegelt sich hier auch Marta und Maria wider.“

Und weiter: „Die altkirchliche Tradition, die die beiden Werke Lukas zuschreibt, konnte sich eine Frau als Autorin sicher nicht vorstellen.“ Oder vielleicht hat Lydia selbst ihr Frausein nicht enthüllt. Für eine Verbreitung der Werke war es wichtig, allgemein anerkannt zu sein. Noch bis vor wenigen Jahren schrieben Frauen unter Männernamen. 

„Zwar gibt es Frauenfreunde in der Antike, aber die Wahrscheinlichkeit, dass ein gottesfürchtiger, wohlhabender Feminist aus Philippi das Evangelium und die Apostelgeschichte geschrieben hat, hat wesentlich weniger Wahrscheinlichkeit, als Lydia als Autorin zu identifizieren“, so Habbe.

Was ist Konsens zu Lukas?

Wer ist Lukas, der Arzt, (Kol 4,14, Phil. 24 und 2. Tim 4,11), dem die Autorenschaft des Doppelwerks zugeschrieben wird? Wenig mehr von ihm ist bekannt, außer dass er Paulus nahe stand. Es ist unter Neutestamentlern umstritten, ob er wirklich der Verfasser ist. Zumindest die Apos-telgeschichte scheint die Theologie des Paulus nicht direkt zu vertreten. Aber Lukas könnte sich auch im Alter von Paulus abgesetzt haben.

Nur wenig mehr lässt sich über ihn oder sie sagen: Letztlich auch nicht, ob Apostelgeschichte und Evangelium wirklich aus einer Hand stammen, wie in Apg 1,1 anklingt Sie sind einem „Theophilus“, einem uns unbekannten Gottesfreund, gewidmet. Oder ist es ein Name? 

Doch einige Hinweise scheinen auf die gleiche Hand bei der Abfassung hinzudeuten: Stil und theologische Gedankenführung sind vergleichbar. Die Wirkungsstätten Jesu sind ihr oder ihm wohl aus eigener Anschauung nicht bekannt. Es scheint jemand verfasst zu haben, der oder die die griechische Welt, aber auch das Judentum kannte. 

Entstanden ist das Lukasevangelium nach vorherrschender theologischer Meinung frühestens wohl um 75 nach Christus nach der Tempelzerstörung, die Apostelgeschichte kurz darauf. Doch gibt es auch eine abweichende Meinung, die das Evangelium schon früh in die 60er Jahre datiert. Paulus muss um 40 nach Christus in Philippi gewesen sein und Lydia bekehrt haben. 

Hat sie sich auch später von ihm abgesetzt? Sie könnte es im Alter noch verfasst haben. Doch alle Indizien Habbes sind Hinweise auf Lydia, keine letztgültigen Beweise. Es kann sich auch eine Freundin Lydias oder jemand ganz anderes dazu berufen gefühlt haben.

=> Glaube oder Gehorsam: Was galt bei den ersten Christinnen?