„Und der Oscar geht an …“

277
Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zur Verleugnung des Petrus

Heute Nacht heißt es zum 96. Mal: „And the Oscar goes to …“. In der Nacht auf den 11. März werden in Los Angeles die diesjährigen Oscars vergeben. Zwei deutsche Regisseure haben Chancen auf einen Oscar. Ich möchte kurzfristig eine Person in der Kategorie „Beste Nebendarstellerin“ nachnominieren. Es ist die „Magd am Feuer“ aus Szene „Die Verleugnung des Petrus“:  

Sie ergriffen ihn aber und führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von ferne. Da sah ihn eine Magd im Licht sitzen und sah ihn genau an und sprach: Dieser war auch mit ihm. Er aber leugnete. Und nach einer kleinen Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch einer von denen. Petrus aber sprach: Mensch, ich bin’s nicht. Und nach einer Weile, etwa nach einer Stunde, bekräftigte es ein anderer. Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich und sah Petrus an. Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, wie er es zu ihm gesagt hatte. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.

aus Lukas 22, 54–62

Die Magd trägt nicht einmal einen Namen. Sie hat üblicherweise keine Sprechrolle, sondern soll dezent im Hintergrund den Herrschaften dienen. In dieser nächtlichen Szene hat sie ihren einen, großen Auftritt. Da ist einer im Hof, der sich am Feuer wärmt und gleichzeitig versucht, möglichst unerkannt bleiben. Und während drinnen der Hauptdarsteller, der Anführer einer galiläischen Sekte, verhört wird, erkennt die Magd ihn. Was für uns schnell wie Denunziation klingt, lässt sich aus ihrer Perspektive als Zivilcourage verstehen. Sie enttarnt den Komplizen eines Angeklagten. Sie schafft Öffentlichkeit, bringt die Dinge ans Licht, nennt sie beim Namen. Und Petrus? Er windet sich. Am Ende hat er dreimal alles abgestritten.

Eine Frage habe ich in den letzten Wochen in verschiedenen Varianten und Tonarten wiederholt gehört: „Wie fühlt es sich an, Mitglied der evangelischen Kirche zu sein und gar für sie zu arbeiten?“ Die ForuM-Studie hat jüngst offengelegt, wie systematisch und andauernd in der evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt möglich war, ausgeübt wurde und vermutlich auch noch wird. Betroffene sind einen langen, schweren Weg gegangen. 

Und wenn sie die Stimme erhoben haben, wurde das allzu oft missachtet. Viel zu lange stand der Schutz der Täter über der Anerkennung und Unterstützung Betroffener. Viel zu lange wollte niemand Verantwortung übernehmen. Viel zu lange hat man es gewusst, was nun ans Licht gekommen ist. Das alles beschämt mich. So kann es nicht bleiben. Es muss etwas passieren.

2017 moderierte der Schauspieler Marc Rylance die Verleihung des Oscars für die beste Nebendarstellerin – in einer konfrontierenden Rolle. Die Magd am Feuer erinnert uns: Es braucht Menschen, die konfrontieren – und nicht nur in Nebenrollen, sondern endlich auch in Hauptrollen! Es braucht Menschen, die mutig sagen, was ist. Auch in unserer Kirche. 

Dr. Hendrik Meyer-Magister, Stellvertretender Direktor,

Leiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care, Tutzing