Nur noch an sich selbst denken – ein guter Lebensplan?

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Inge Wollschläger, Evangelisches Sonntagsblatt aus Bayern
Inge Wollschläger, Mitglied der Redaktionskonferenz im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern, Hintergrundbild von Erich Kraus.

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

„Alles geht den Bach runter!“, sagt die Bekannte. Sie ist stinksauer, weil ein für sie wichtiger Antrag abgelehnt wurde. Nun fühlt sie sich betrogen und von der Politik allein gelassen. Eigentlich habe ich sie bisher nicht als besonders politischen Menschen wahrgenommen. Aber jetzt reicht es ihr endlich. Irgendwer muss ja schließlich schuld sein, dass alles den Bach runtergeht. „Alle sind so egoistisch geworden!“, beschwert sie sich weiter. 

Und jetzt hat sie einen Plan. Sie möchte auch egoistischer werden. Ob das ein guter Plan ist, frage ich sie? Ob ihr Leben oder das anderer Menschen dadurch besser werden würde, wenn jeder nur noch auf sich und seinen Vorteil schauen würde? Es ist ihr in diesem Moment auch egal. Irgendwohin muss eben der Zorn über ihre schwierigen Umstände hin. 

Und auch wenn ich finde, dass das der falsche Schluss ist, den sie da ziehen möchte – sie hält es in diesem Moment für richtig. Nicht nur meine Bekannte, sondern viele Menschen mehr sehen aktuell eine Welt ausschließlich voller Egoisten um sich herum. Alle bekommen mehr. Nur sie nicht. 

Wenn sie nun auch wie alle egoistischer werden würde, dann würde sie endlich auch das bekommen, was all die anderen Egoisten dieser Welt bekommen. Dass ihre Argumentation starke Widersprüche hat, wird nicht gesehen. 

Denn wenn nun alle Menschen nur noch an sich denken – dann wäre es genau die Welt, die sie bemängelt. Denn dann hält man es irgendwann für selbstverständlich, nur noch an sich zu denken. Und dann ist man – wie die Bekannte – ganz überrascht, dass alle Menschen so egoistisch geworden sind. Eine Entscheidung wird eben nicht besser, nur weil viele, viele Menschen mitmachen.

Manchmal freue ich mich, dass mein Freundeskreis und auch meine Kirchengemeinde, in der ich arbeite und der ich angehöre, anders „ticken“. Dass sie sehr wohl andere im Blick haben und sich kümmern. Es ist etwas wert, sich um die zu kümmern und sich um den Nächsten zu sorgen, dass es ihm gut geht. So viele Menschen sind für andere da. Es ist das Gegenteil einer egoistischen Welt, in der nur der Stärkste überleben kann und das Meiste von allem bekommt. 

Ich glaube, dass zukünftig nur diejenigen gut leben werden, die versorgt, eingebunden und getragen im Netz des Lebens sind.