Ein Lazarett für Freund und Feind

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Als die katholischen Ordensschwestern aus dem 20 Kilometer entfernten Emmitsburg davon hörten, eilten sie nach Gettysburg und waren nach der Schlacht die ersten medizinischen Hilfskräfte, die eintrafen. Foto: Bek-Baier
Als die katholischen Ordensschwestern aus dem 20 Kilometer entfernten Emmitsburg davon hörten, eilten sie nach Gettysburg und waren nach der Schlacht die ersten medizinischen Hilfskräfte, die eintrafen. Foto: Bek-Baier

Das Lutherische Seminar in Gettysburg im amerikanischen Bürgerkrieg, Teil 3

Der amerikanische Bürgerkrieg brach nicht über Nacht aus. Die Sklavenfrage hatte die Nation längst gespalten. Spätestens seit John Browns Überfall auf Harpers Ferry 1859 waren die Fronten zwischen den Staaten im Süden der USA, in denen Sklaverei praktiziert wurde, und denen im Norden, die weitgehend auf Sklaverei verzichteten, verhärtet. 

Abraham Lincoln war gegen die Sklaverei. Er verfolgte aber zunächst einen politischen Weg des Kompromisses. Seine Wahl im Jahr 1860 zum sechzehnten Präsidenten der Vereinigten Staaten löste dennoch die Abspaltung der sklavereifreundlichen Südstaaten aus. Da Lincoln die Auflösung der Amerikanischen Union nicht zulassen wollte, forderte er Truppen zur Niederschlagung des Aufstands auf, was zu einem umfassenden Bürgerkrieg führte.

Am 12. April 1861 um 4.30 Uhr begann der Krieg mit dem Beschuss von Fort Sumter in Charleston, South Carolina. Sumter war eine militärisch eher unbedeutende Festung auf einer künstlichen Insel im Hafen von Charleston. Aber es hatte immense politische Bedeutung. Als das Fort der Union 1861 fertiggestellt wurde und Truppen Stellung bezogen, befand es sich schon als störender Fremdkörper mitten in einem Staat, der sich der Konföderation anschließen und der Union den Rücken kehren wollte.

Der Krieg begann und trotz hoher Überlegenheit der Union an Zahl der Soldaten und der militärischen Ausrüstung, verlor der Norden in den ersten Kriegsjahren eine Schlacht nach der anderen.

Militär und Glaube

Als sich friedliche Lösungen auflösten und sich ein Krieg abzeichnete, verlangten andere Glaubensfragen als vor dem Krieg nach Antworten: Ist Krieg gerechtfertigt? Wird Gott mir verzeihen, dass ich meinen Feind getötet habe? Wird Gott mich beschützen? Ist meine Sache gerecht? Ist Gott auf unserer Seite?

Die Soldaten, in gleicherweise des Nordens und des Südens, brachten ihre religiösen Gebräuche, spirituellen Bedürfnisse und Zweifel mit, als sie in den Krieg zogen. Die Möglichkeit des nahen Todes und der Zwang, Gottes Gebot zu brechen, niemanden zu töten, war eine Anfechtung für ihren Glauben. 

Bibeln in Hosentaschengröße waren gebräuchlich, boten Trost und moralische Stärke während des Feldzugs. Einige Regimenter hatten eigene Militärgeistliche (Chaplains). Soldaten, die Bethäuser errichten wollten, bauten alles von primitiven Buschkapellen bis hin zu riesigen Blockkirchen. Ehrenamtliche Geistliche besuchten die Winterlager der Armeen und hielten Erweckungsgottesdienste ab, in der Hoffnung, unter den Nicht-Kirchbesuchern Konvertiten zu gewinnen. Bibelgesellschaften veröffentlichten und verteilten religiöse Traktate speziell für Soldaten. Hilfsorganisationen wie die United States Christian Commission (USCC), ein Ableger der Young Men‘s Christian Association (YMCA), schickten Hilfskräfte und Hilfsgüter aller Art. 

Die USCC versorgte die Unions­truppen mit Hilfsgütern, medizinischen Gütern und religiöser Literatur. Sie stellte protestantische Seelsorger und Sozialarbeiter zur Ver-
fügung und arbeitete mit dem Sanitätsdienst der Armee zusammen. In der Schlacht von Gettysburg halfen 60 Geistliche der USCC im Sanitäts- und Seelsorgedienst. 

Wichtige Aufgabe war es – so seltsam es heute klingt – die Soldaten auf dem Marsch und in der Schlacht mit Kaffee zu versorgen. Kaffee war für die Unionssoldaten ein wichtiges Gut. Die USCC betrieb dazu sogenannte Coffeemachines, eine Art Gulaschkanonen für Kaffee, die von Pferden gezogen mit den Truppen mitgeführt wurden.

Das Seminar in der Schlacht

Die Jahre der Debatten um die Sklaverei und der Beginn des Krieges, weit von Pennsylvania, gingen nicht spurlos an den Studenten und dem Lehrkörper des Lutherischen Seminars vorüber (Sonntagsblätter, 32 und 33, Seiten 6–7). Die Studenten des Seminars in Gettysburg kamen aus Gemeinden aus den gesamten USA. Allerdings stammten die meisten aus Kommunen, die von deutschen Einwanderern gegründet worden waren in Pennsylvania, Maryland, Virginia und den beiden Carolina Staaten. Pro Jahrgang studierten hier bis zu 30 Studenten.

Im Frühjahr 1863, dem Vorfeld der Schlacht, dienten schon einige Seminaristen bei der USCC. Vier andere Studenten traten in die 26. Pennsylvania Emergency Militia ein, eine hastig aufgestellte Freiwilligen-Miliz, unter anderem von Gettysburger Bürgern.

Auf der anderen Seite traten sechs Seminaristen in die Konföderierte  Armee ein. Unter ihnen war Webster Eichelberger aus Jefferson County in Virginia, der das Seminar seit 1859 besuchte und sich 1861 in die 2. Virginia Infanterie einschrieb. Louis Bikle aus Cabarrus County in North Carolina, besuchte das Seminar von 1857 bis 58. Er diente als Chaplain, als Militärgeistlicher, bei der 20. North Carolina Infanterie.

Das Seminar als Lazarett

Viel mehr Soldaten, als die, die auf den  Schlachtfeldern sofort starben, erlagen nach der Schlacht ihren Verletzungen. Nach modernen Maßstäben war die medizinische Versorgung im Bürgerkrieg schlecht und primitiv. Ohne Wissen über Keime und Infektionen operierten die Ch­i­rurgen unter unhygienischen Bedingungen. Um Wundbrand zu verhindern, wurden getroffene Arme und Beine einfach mit Sägen und Messern amputiert. Sanitätsoffiziere beider Armeen improvisierten ständig unter schwierigen Bedingungen und knappen Vorräten. Noch nie hatte jemand so viele Verwundete behandelt.

Der medizinische Direktor der Potomac-Armee der Union, Dr. Jonathan Letterman, entwickelte neue Methoden für den Umgang mit Verletzten. Im Rahmen  seines Systems wendeten Regiments-Versorgungsstationen die Grundsätze der Triage an – eine Einteilung der Verletzten nach der Schwere der Verletzungen. Sie schickten Verwundete in Feldlazarette der Divisionen oder Korps. Jedes Korps hatte seine eigenen Krankenwagen. Riesige Allgemeinkrankenhäuser in den Großstädten kümmerten sich um die langfristige Genesung. Die Armee rekrutierte auch eine kleine Anzahl Frauen als Armeekrankenschwestern. 

Doch Gettysburg wurde so unerwartet und plötzlich zum Kriegsschauplatz, dass eine geordnete medizinische Versorgung nicht ansatzweise gegeben war. Es waren vor allem die Bürgerinnen aus der Stadt, die Verwundete pflegten und versorgten. 

Die Armee von Virginia unter General Robert E. Lee marschierte im Sommer 1863 für den Unionsstab überraschend nach Norden und in Pennsylvania ein. Ziel war einerseits Verwüstungen anzurichten und Beute im Feindesland zu machen. Anderseits hoffte Lee einen raschen Sieg über den Norden herbeiführen zu können. Als seine Späher die Unionsarmee ausmachte, änderte er spontan seine Marschrichtung. Der Zufall wollte es, dass die beiden Armeen im kleinen Provinzstädtchen Gettysburg aufeinandertrafen. In den ersten drei Julitagen des Jahres 1863 kam es zur größten Schlacht, die jemals auf amerikanischen Boden stattgefunden hatte.

Am ersten Tag der Schlacht kam es zu heftigen Gefechten rund um das Lutherische Seminar. Die Unions-Kavallerie sichtete frühzeitig das heranrückende konföderierte Heer und versuchte mit Scharmützeln die Südstaatler, die in großer Überzahl heranrückten, aufzuhalten. Ziel war es, den herbeieilenden Truppen der Union Zeit zu verschaffen.

Den ganzen Tag des 1. Juli 1863 tobte die Schlacht am Seminary
Ridge, dem Seminarhügel. In Folge dessen wurde im  Lutherischen Seminar ein provisorisches Lazarett eingerichtet. Die Sanitäter und Ärzte der Armee waren aber angesichts der hohen Zahl an Verwundeten, die in kürzester Zeit an das Seminar gebracht wurden, zu wenige und überfordert. Hier kamen Frauen – darunter auch einige Witwen – aus dem Ort zu Hilfe. Sie hatten keine Ausbildung und nur das wenige Material und Medikamente, die die Truppen mit sich führten. Im Laufe der Schlacht soll es nur noch wenige Häuser in Gettysburg gegeben haben, in denen nicht Verwundete versorgt wurden. Als die Südstaatentruppen für wenige Tage das Seminar und die Stadt besetzten, wurden Verwundete der Union nicht mehr versorgt,  Verbandsmaterial und medizinisches Gerät konfisziert.

Als die Ordensschwestern, des katholischen Ordens Töchter der Barmherzigkeit, aus dem 20 Kilometer entfernten Emmitsburg von der Schlacht hörten, eilten ihr Reverend und zwölf Schwestern nach Gettysburg. Sie gehörten zu den ersten medizinischen Freiwilligen, die eintrafen. Die Schwestern boten in ganz Gettysburg spirituellen Trost und Pflege an. Mindestens vier dienten im Lutherischen Seminar. Im Verlauf des Kriegs wurden mehr als 300 Töchter der Barmherzigkeit Krankenschwestern.  

Die Sklaven und der Krieg

In den ersten Tagen der Invasion Pennsylvanias lieferten die Einheiten von General Robert E. Lees Armee sich Gefechte mit örtlichen Milizen, sammelten Vorräte aller Art und machten Jagd auf Afroamerikaner. In Chambersburg, Greencastle und Mercersburg und dann auch Gettysburg trieben konföderierte Soldaten Dutzende gefangene Afroamerikaner zusammen und marschierten mit ihnen nach Süden, um sie in Virginia zu verkaufen. Die meisten Afroamerikaner in Gettysburg flohen, bevor die Konföderierten eintrafen. Andere versuchten es. Während der Schlacht wurden zwischen den Versorgungswagen gefangene Afro­amerikaner gesehen.

Präsident Abraham Lincoln, war zwar Gegner der Sklaverei, aber er erließ erst am 1. Januar 1863 die Emanzipationsproklamation, die die Abschaffung der Sklaverei zum Ziel hatte. In der Gettysburg-Rede am 19. November 1863 schilderte Präsident Lincoln die Not der Nation und stellte sich ihre Zukunft vor.  Er nahm an der Einweihung des Soldatenfriedhofes teil. Die Ausführungen von Präsident Lincoln dauerten nur zwei Minuten. Sie sollten die USA verändern.

Gettysburg war ein großer Sieg für die Union gewesen, aber vier Monate später zog sich der Krieg immer noch hin und die Verlustlisten wurden immer größer. Lincolns politische Gegner drängten auf einen ausgehandelten Frieden. In nur zehn Sätzen fasste Lincoln die Ideale, Sorgen und tiefsten Hoffnungen der Nation für die Zukunft in einem heiligen Pakt mit denen zusammen, die hier ihr Leben geopfert haben. Er wurde im April 1865, nur wenige Tage nach Kriegsende, ermordet.

Afroamerikanische Männer aus Gettysburg und Adams County wollten ihrem Land dienen und für die Freiheit von Freunden und Familie kämpfen. Zu Beginn des Bürgerkriegs organisierte Randolph Johnston eine Kompanie afroamerikanischer Freiwilliger. Sie marschierten und exerzierten zur Vorbereitung, durften aber nicht in der Unionsarmee dienen. Im Frühjahr 1863 genehmigte Präsident Lincoln nach der Emanzipationserklärung die Bildung der United States Coloured Troops für farbige Amerikaner. Nach der Schlacht von Gettysburg nahm die Rekrutierung stark zu. Dutzende afroamerikanische Bürger von Gettysburg meldeten sich. Während des Bürgerkriegs dienten mehr als 180.000 afroamerikanische Männer in der US-Armee und 30.000 dienten in der Marine. Sie durften nun zum ersten Mal in ihrer Geschichte ihre Freiheit selbst verteidigen.

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