Lässt sich der Gewaltkreislauf durchbrechen?

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt über Gewaltlosigkeit

Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ (2. Mose 21,24). Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Bösen, sondern: Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.

Aus Mt 5,38–48

Garching, 1995. Zugegeben: Ich hatte mich mit meinem Fahrrad etwas sehr früh eingeordnet zum Links-abbiegen. Das Auto hinter mir überholte mich kurz vor der Kreuzung und der Fahrer sprang heraus: „Soll ich dich schlagen?“ In der Überlegung, wo ich mein Rad hinwerfen würde, dass er noch um sein Auto laufen müsste und ich mit dem Fahrrad vielleicht doch schneller wäre antwortete ich: „Sie können mich gerne schlagen, wenn Sie mir sagen warum!“ – dieser Dialog wiederholte sich zweimal, dann stieg er ein und fuhr weg.

Eine Heldengeschichte mit eigenem Verdienst? Nein, eher eine spontan gelungene Deeskalation mit anschließendem kurzem Stoßgebet „Danke, lieber Gott, dass das gut gegangen ist!“

Dass sich Gewalt unterbrechen lässt, ist mir allerdings hängen geblieben. Und genau davon redet Jesus in unserem Text für diesen Sonntag. Der Text ist für mich aktueller denn je. Entsetzt nehme ich zur Kenntnis, dass allenthalben Kaltherzigkeit und Lüge Raum greift und der Versuch der Abwehr von Hilfsbedürftigen. Natürlich habe ich als Christ und als Mensch Verständnis dafür, dass einem im Augenblick mit all den Nachrichten und Krisen alles zu viel werden kann. 

Doch als Christen haben wir noch einen ganz anderen Auftrag. Diesen habe ich auch nicht zuerst anderen zu sagen, sondern er gilt für mich selber. Ich soll den Kreislauf der Missachtung und der Gewalt durchbrechen. Und ich weiß gleichzeitig, dass diese vermeintlich einfache Anleitung gar nicht einfach zu befolgen ist. Schon gar nicht in der Politik. Einfach keine Waffen mehr in die Ukraine liefern? Und dann die Angegriffenen dem Angreifer überlassen? Alles vermeintlich einfache Argumentieren, spricht letztlich nur aus: „Ich will das von mir fernhalten und mich nicht behelligen lassen“. 

Aber so einfach ist es eben nicht. Es kann mir nicht egal sein, wie es den Ukrainern geht und es kann mir nicht egal sein, wie es den Russen geht. Es kann mir nicht egal sein, wie es meinen Nachbarn geht, ob sie schon lang hier wohnen und oder vermeintlich illegal gekommen sind, als Asylanten oder einfach, um besser leben zu können.

Deshalb bin ich als Christ im Sinne Jesu gegen Gemeinheiten für andere Menschen, seien sie arbeitslos oder geflohen oder sonstwie in Not. Das muss anders gehen und es geht anders. Ich möchte weg vom „selber schuld“ zum „Du bist willkommen“, ich möchte weg vom Beleidigen in Diskussionen zu echter sachlicher Auseinandersetzung, ich möchte weg von der vermeintlich einfachen Lüge zur Suche nach Wahrhaftigkeit. 

Ist das unbequem und anstrengend? Ja sicher, denn ich kann mich nicht in meine vier Wände zurückziehen und die Augen zumachen. 

Sie sagen „Ja aber?“ Da müsse doch mehr berücksichtigt werden? Schon richtig, die Bergpredigt ist keine politische Anleitung. Und unser Leben ist komplex. Das war es übrigens schon immer. Aber vielleicht dürfen wir einfach auch klein anfangen, um am Schluss dann doch groß zu denken: Jesus Worte sind zunächst ein Auftrag für mich selber für den Umgang mit Anderen in meinem Leben. Und letzlich auch mit dem Leben, dass ich als von Gott geschenkt verstehe.

Und wenn ich etwas gelernt habe aus der Szene in Garching, dann dieses: Ich werde, soweit es in meiner Macht stehen, den Respekt für den Anderen nicht aufgeben. 

Peer Mickeluhn, Pfarrer im Schuldienst und Notfallseelsorger im Dekanat Bad Tölz