Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern über Bileams Begegnung mit dem Engel
Da öffnete der HERR dem Bileam die Augen, dass er den Engel des HERRN auf dem Wege stehen sah mit einem bloßen Schwert in seiner Hand, und er neigte sich und fiel nieder auf sein Angesicht. Und der Engel des HERRN sprach zu ihm: Warum hast du deine Eselin nun dreimal geschlagen? Und die Eselin hat mich gesehen und ist mir dreimal ausgewichen. Da sprach Bileam zu dem Engel des HERRN: Ich habe gesündigt; ich hab‘s ja nicht gewusst, dass du mir entgegenstandest auf dem Wege. Und nun, will ich wieder umkehren. Der Engel des HERRN sprach zu ihm: Zieh hin mit den Männern, aber nichts anderes, als was ich zu dir sagen werde, sollst du reden.
Aus 4. Mose 22,31–35
Es war ein fast schon verzweifelter Ausruf Gerhard von Rads: „Aber hat damit nicht doch wieder einmal der Heide Bileam die Kirche heimlich gesegnet?“ In den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts kämpfte der junge von Rad, der später ein berühmter Alttestamentler werden sollte, gegen eine zu schnelle Deutung des Alten Testaments mit Blick auf den christlichen Glauben. Er wollte, dass sie auch in ihrer Fremdheit zu Wort kam – und Gott auch im Fremden zu uns spricht.
Bileam ist der Inbegriff des Fremden. Als heidnischer Zauberer wird er vom Moabiterkönig Balak beauftragt, die Israeliten auf ihrem Weg ins Gelobte Land zu verfluchen. Zauberer oder Magier waren dem Volk Gottes nicht geheuer, denn sie beanspruchten einen nebengöttlichen Machtbereich. Aber nun wird auf wundersame Weise Bileam, der Feind Israels, zu einem Gottesfreund. Bis es so weit ist, muss er allerdings über die Lage der Dinge aufgeklärt werden. Denn ein Engel stellt sich Bileam in den Weg, den dieser nicht sieht. Nun öffnet Gott auch Bileam die Augen und wird sein neuer Auftraggeber. Der geplante Fluch verwandelt sich in Segen für das Volk Israel. Und der vermeintlich eigene Machtbereich des Zauberers erweist sich in Wirklichkeit als Machtbereich Gottes.
Die Israeliten wusste schon immer, dass ihrem Gott auch das Fremde und sogar Feindliche unterliegt. Und dass zum Segen wird, was vorher niemand gedacht hätte. Jakob wird am Fluss Jabbok in einen Ringkampf verwickelt, aus dem er als Gesegneter hervorgeht. Abraham kommt wie Bileam aus der Gegend vom Euphrat, dem Gebiet des späteren Babylon, das Israel das Leben später sehr schwer machen, aber für einen segensreichen Neuanfang sorgen wird. Und den Weg zur Krippe finden Magier aus dem Morgenland, die man später lieber die „heiligen drei Könige“ nannte.
Gott spricht auch im Fremden zu uns. Weil sein Machtbereich auch dort ist, wo wir es nicht vermuten. Weil Umstände, sich als segensreich erweisen, von denen wir das nie geahnt hätten. So wie der zunächst feindliche Bileam Israel segnet.
Gegenwärtig ist der Verlust kirchlicher Traditionen in aller Munde. Waren die Menschen in früheren Zeiten des Lesens und Schreibens nicht mächtig, so trifft das heute zunehmend auf den Glauben zu. Doch was tun wir als Kirche? Wir verlieren uns in Strukturdebatten.
Wäre es nicht naheliegender, vom Juwel des Glaubens neu zu erzählen? Etwa dass Gottvertrauen die Grundlage für das Vertrauen zu Menschen und in Institutionen ist. Oder dass Beten erdet. Dass eine Hoffnung, die über die Welt hinausgeht, schon in der Welt weiterhilft.
Die Israeliten damals verzagten kurz vor dem Einzug ins Gelobte Land. Aber dann kam ausgerechnet der Heide Bileam. Heute scheinen wir zu verzagen. Aber vielleicht ist der Heide Bileam schon längst wieder da, indem er uns herausfordert. Es wäre nicht das erste und auch nicht das letzte Mal, dass der Heide Bileam heimlich die Kirche segnet.
Dekan Dr. Matthias Büttner, Ansbach