Warum es gerade vor 500 Jahren zum Bauernkrieg kam – eine detaillierte Untersuchung
Es braute sich schon länger etwas zusammen: Heilsverlangen und Höllenangst, neuartige Krankheiten und vielfältige Krisen einer Umbruchszeit, Naturkatastrophen und himmlische Wunderzeichen führten vor 500 Jahren dazu, dass die Unterdrückten gegenüber der herrschenden Ungerechtigkeit aufbegehrten. In seinem aktuellen Werk „Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis“ stellt der Kirchenhistoriker ein umfassendes Bild der Umbrüche 1524/25 dar.
Prophetische Warnungen vor diesem besonderen Unheilsjahr reichten teils eine ganze Generation zurück: Da nennt Kaufmann eine 1488 erschienene „Prognosticatio“ des Astrologen Johannes Lichtenberger: Orakel weisen für diesen auf kommendes Unheil hin – bevor sich Martin Luther überhaupt 1490 in die Mansfelder Lateinschule begab.
Selbst Sebastian Brants „Narrenschiff“ (Erstdruck 1494) beklagte die Zerstörung der Ordnung durch die Bauern, die ihr Herkommen verleugnen und sich bereichern wollten. Dagegen erschien die „Utopia“ des Thomas Morus 1516. Anderen Zeitgenossen genügt es, ganz profan mehr Gerechtigkeit und weniger Ausbeutung zu fordern. Da lag mehr in der Luft als eine bedrohliche Planetenkonstellation, in der das Sternbild der „Fische“ Aufruhr bringen sollte, wie ein Flugblatt 1523 voraussagte (das Kaufmann auf seinen Buchtitel aufgenommen hat, vgl. oben rechts).
Aufruhr im Blätterwald
So erscheinen die Aufstände schier unvermeidlich, zumal mögliche Zugeständnisse überhaupt nicht in Frage kamen: „Reformation und Bauernkrieg entstammen gleichermaßen der Druckerpresse“, formuliert Kaufmann pointiert. Der brandneue Buchdruck prägte sogar diejenigen, die kein Wort lesen konnten. Gedruckte Flugblätter griffen schnell auf bildliche Darstellungen und Holzschnitte zurück. Kaufmann analysiert viele Drucke akribisch – doch braucht es in seiner detailreichen Darstellung einige Aufmerksamkeit, um die großen Linien zu erkennen.
Hatte nicht die Reformation gelehrt, dass alle Menschen eigenverantwortlich und frei vor Gott stehen? Das empfanden bereits damals die Anhänger der alten Kirche so: Der Schuldige der Aufstände war für sie der Reformator Martin Luther.
Für diesen wiederum lag die Verantwortung bei Thomas Müntzer: War der schwärmerische Prediger nicht vom Satan verführt worden, damit er durch seine Offenbarungen das wahre Evangelium verdrehen und Ungebildete verführen konnte? Damit wurde Müntzer geradezu Luthers personifizierter Gegner. Tatsächlich berief dieser sich auf Träume und direkte Offenbarungen mystischer Art. Doch erst Luthers Polemik gegen ihn schuf wohl die Basis für dessen Bekanntheit und Nachleben, wie Kaufmann diese Dynamik herausarbeitet.
Müntzer entstammte ebenso wenig dem Bauerntum wie der Verfasser der zentralen Forderungskataloge der „Zwölf Artikel“ und der „Memminger Bundesordnung“: Der Handwerker und Laientheologe Sebastian Lotzer, der sich als Anhänger der Reformation und dem Priestertum aller Gläubigen sah, brachte sie nach Versammlungen in ihre schriftliche Form. Auf ihn geht wohl auch die Begründung zentraler Forderungen durch Bibelworte zurück, wodurch sie quasi unter göttliches Recht gestellt wurden. Die „Bundesordnung“ erschien gar als eine Verlautbarung einer „christlichen Vereinigung“ unbekannter Größe, die durch die Drucklegung eine gewisse Verbindlichkeit bekam.
Als mehrfach nachgedruckte Flugblätter mit entsprechenden Illustrationen erfuhren sie weite Verbreitung. Das machte den Bauernkrieg für Kaufmann zu einem zusammenhängenden Geschehen. Mehr noch: „im Kern war der Bauernkrieg ein Phänomen der reformatorischen Kommunikationsdynamik.“
Durch diesen Anspruch fühlten sich die Reformatoren herausgefordert – zumal zeitgleich die biblische Legitimation der Kindstaufe bestritten wurde. Auch das bedrohte letztlich die Herrschaftsausübung, da damals nur durch den Eintrag in ein Taufregister ein Mensch verwaltungstechnisch existieren konnte.
Warum sich die Reformatoren durch die Forderungen der Bauern herausgefordert fühlten
Für die Wittenberger „spielten die Bauern selbst keine nennenswerte Rolle mehr; die Legitimität der Reformation stand auf dem Spiel“, so Kaufmann: Grund genug für Luther, sich dagegen massiv zu wehren: Schon die „christliche“ Vereinigung der Bauern führe den Namen Gottes selbst unnütz im Munde und vergehe sich dadurch schon gegen das Erste Gebot, so Luther.
Auch die Berufung der Bauern auf die Bibel verdrehe deren Botschaft: Schließlich hatte der Reformator bereits 1523 in der Lehre von den „Zwei Reichen“ Unterordnung unter die Obrigkeiten gefordert. Ferner galt für Luther: Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen (Mt 26,52). Außerdem meinte er (was wohl nicht nur heute ziemlich zynisch klingt): Ein rechter Christ habe leidensbereit zu sein.
Mehr noch: „Steche, schlahe, würge hie, wer da kan“, mit diesen drastischen Worten rief Luther zur Gewalt gegen die Bauern auf. Und dies zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Obwohl er es noch kurz vor den „Schlachten“ von Böblingen, Frankenhausen und Zabern Mitte Mai 1525 schrieb, in denen die Bauernheere abgeschlachtet wurden, kam es direkt danach druckfrisch heraus.
Für die Sieger galt das Leben eines Bauern viel weniger als das eines Angehörigen höherer Schichten. Sie hatten nach ihrem Empfinden nur Recht und Ordnung wieder hergestellt. War nicht schon deshalb Gewalt von Seiten der Bauern, sehr viel grausamer als diejenige ihre Gegner. Da war die Oberhoheit im Blätterwald schnell wieder hergestellt. Müntzer wurde bekanntlich hingerichtet. Sebastian Lotzer floh rechtzeitig aus Memmingen. Letzte Lebensspuren weisen nach St. Gallen, wo übrigens die Täuferbewegung stark war. Er scheint überlebt zu haben, doch bleibt sein weiteres Leben im Dunkeln: Er schwieg fortan.
Fast nur die Erinnerung an Landadlige auf Seiten der Bauern wie Florian Geyer oder Götz von Berlichingen überlebte – bis Goethe letzteren Raub- und Glücksritter veredelte.
Spätestens seit Friedrich Engels Bauernkriegs-Studie Mitte des 19. Jahrhunderts wurde dem Geschehen neuer Sinn zugeschrieben „als epochaler Schritt in der Geschichte der menschlichen Freiheit“, so Kaufmann. Wie damals neue Medien – etwa Drucke über Unheilszeichen und Utopien – dem Ausbruch des Krieges vorausgingen und weitere Flugblätter ihn flächendeckend beförderten, so zeigt Kaufmann auch sein gedrucktes Nachleben auf .
Doch Krieg ist für den Historiker immer sinnlos, er zeigt die „abgründigsten Seiten“ von Menschen auf: etwa, „dass Müntzer um des Brausens des Geistes willen agitierte und verführte und das mäßigende Wort fahren ließ; dass sich Luther zu Mordappellen hinreißen ließ, die auch nach den Maßstäben des 16. Jahrhunderts für einen Theologen und Christenmenschen unangemessen waren. Krieg schädigt des Menschen Innerstes, seine Seele“.
Buchtipp: Thomas Kaufmann: Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis. Herder Verlag 2024, ISBN 978-3-4513-9028-9, 544 Seiten, 35 Euro.