Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Erntedank
Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird; denn es wird geheiligt durch das Wort Gottes und Gebet.
1. Tim 4,4–5
Wir sitzen in fröhlicher Runde beim Lieblingsitaliener. Die Gespräche sind angeregt, der Wein ist eingeschenkt. Das Essen kommt. Unsichere Blicke. Das Gespräch verstummt. Sollen wir? Ein Tischgebet im Restaurant, passt das? Wir halten kurz inne. Einige falten die Hände, schließen die Augen. Dann fassen wir uns bei den Händen und wünschen uns „gesegnete Mahlzeit“.
Das kleine Ritual des Tischgebets macht für mich einen großen Unterschied. Es ist wie ein kleines Erntedankfest mitten im Alltag. Ich danke nicht nur für die auf unserer Welt alles andere als selbstverständliche Tatsache, dass ich nicht hungern muss. Ich danke für die vielen Hände, die nötig waren, damit auf meinem Teller etwas zu essen ist: Hände von Landwirten und Erntehelfern, von Menschen, die verarbeiten, verpacken, verkaufen. Hände von Bäckern und Köchen. Ich danke für die, die mit mir am Tisch sitzen, für Gespräche und Lachen. Und ich ahne, wie wenig davon ich selbst in der Hand habe und wie viel mir ohne Zutun geschenkt ist.
Danken schafft Beziehung. Im Dank-Gebet geht der Blick nicht nur auf all die zwischenmenschlichen Beziehungen, die funktionierenden Kreisläufe, die es braucht, um mich zu nähren und gut leben zu lassen. Der Blick geht weiter bis zu dem, der als Schöpfer ganz am Anfang aller Wertschöpfung steht.
Und Gott sah, dass es gut war, lautet der tägliche Kehrvers im biblischen Schöpfungsbericht. Mein täglicher Kehrvers ist das Tischgebet. Ich danke Gott dafür, wie gut er es mit mir meint. Und auf einmal entdecke ich im Predigttext einen sehr modernen Gedanken: Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung empfangen wird.
In unserer Stadt gibt es engagierte Menschen, die damit ernst machen. Lebensmittelretter nennen sie sich. Sammeln in Geschäften ein, was weggeworfen werden soll, weil es nicht mehr gut verkäuflich ist. Diese Menschen sagen: Das ist noch gut! Das ist wertvoll, das macht satt, vielleicht sogar Freude. Die geretteten Lebensmittel werden am nächsten Tag ausgegeben und an Menschen verteilt, die sich keine leckeren Gebäckteilchen oder frisches Obst und Gemüse leisten können.
Tischgebet und Lebensmittelretten: In beidem spiegelt sich für mich der Glaube an den Schöpfergott, der es gut mit uns meint, der uns oft genug überreich beschenkt mit Lebensmitteln und Lebensmöglichkeiten. Heilige werden wir dadurch noch nicht. Wohl aber Menschen, die einen Sinn fürs Kostbare im Alltäglichen haben.
So müssten wir eigentlich jeden Tag ein kleines Erntedankfest feiern. Um zu erkennen, wertzuschätzen und zu heiligen, was Gott für gut befunden hat und uns täglich zu Gute kommen lässt. Mein Tischgebet ist so ein kleines tägliches Erntedankfest. Und mit Freunden beim Lieblingsitaliener bei einem liebevoll bereiteten Abendessen erst recht!
Berthild Sachs, Dekanin in Schwabach
Lied 668: O Gott, von dem wir alles haben