„Die schönsten Kirchen“ als Glaubensraum

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Herausgeber, Autorinnen und Autoren des Symposiumbandes über die Markgrafenkirchen, rechts vorne Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner. Foto: Kirchenkreis Bayreuth
Herausgeber, Autorinnen und Autoren des Symposiumbandes über die Markgrafenkirchen, rechts vorne Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner. Foto: Kirchenkreis Bayreuth

Meilenstein auf dem Weg der Erschließung oberfränkischer Markgrafenkirchen erreicht

„Die schönsten Kirchen der bayerischen Landeskirche“ könne Dorothea Greiner in Oberfranken genießen: Das gab ihr vor elf Jahren Hartmut Böttcher, damals Oberkirchenrat und Verantwortlicher für das Bauwesen der Kirchengemeinden, mit auf den Weg. Dieser Impuls bei ihrer Amtseinführung entwickelte sich zu einem Ansporn für die Regionalbischöfin, die Gotteshäuser näher zu betrachten. Und ihre Symbolik allgemein nachvollziehbar zu machen.

Denn die Markgrafenkirchen sind nicht nur besonders farbenprächtig und gleichzeitig aufwendig im Unterhalt, sondern ein Spiegel ihrer Epoche: Als „Resonanzraum der barocken Predigt“ sieht Klaus Raschzok sie. Nun sind sie auch von mehreren wissenschaftlichen Perspektiven aus gründlich in den Blick genommen worden. Die Ergebnisse eines Symposiums zu diesen Sakralbauten liegen nun auf mehr als 500 Seiten in gedruckter Form unter dem Titel „Markgrafenkirchen“ vor. 

Kirchenhistoriker Raschzok zählt neben Professor Günter Dippold und Marcus Mühlnikel zum Herausgeberkreis. Auch als Autor mehrerer Beiträge sieht er etwa ihr architektonisches Programm als direkten Spiegel von „Liturgie und Frömmigkeit“. 

Mindestens zwei, eher drei Stunden dauerte der sonntägliche Gottesdienst im Markgrafentum bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Das erschließt Raschzok aus den Kirchen-Agenden. Schülerchöre auf der Orgelempore mussten so lange ausharren. Sie antworteten auf Predigt und Lesungen der Pfarrer, die ebenfalls vielfach von der Kanzel aus gehalten wurden. Die Gemeinde selbst sang wenig. Der Gottesdienst fand meist als lutherische Messe zweisprachig mit großem lateinischem Anteil statt, so Raschzok. 

Der Saalraum als Achse zwisschen Orgel und Altar stellte den Anspruch der lutherischen Kirchen nach dem Augsburger Bekenntnis bildhaft dar, um zur „Versammlung aller Gläubigen“ unter „der reinen Predigt und die Sakramente zu dienen“. Dies hat Dekan i. R. Hans Peetz, nun Vorsitzender des Vereins Markgrafenkirchen e.V., in seinen „Theologischen Grundannahmen“ für eine typische Markgrafenkirche beim Symposium herausgearbeitet.  

Die Markgrafen waren immer präsent – selbst wenn die Gotteshäuser nur im Einzelfall als Residenzkirche oder Grablege dienten: Zumindest durch ihre Wappen an den Wänden, mit ihren Porträts in den Gesangbüchern oder in den Fürbitten für sie, die immer ausführlicher geregelt waren, fehlten sie nie. Ornamente ersetzten im 18. Jahrhundert die bisherigen Bibelzyklen.

Besonders typisch für diese oberfränkischen Gotteshäuser sind die aufwendig gestalteten Kanzelaltäre mit christologischem und trinitarischem Bildprogramm. Das Sakrament galt als bildlich verdichtete Verkündigung. Doch war meist nur mit wenigen Abendmahlsgästen zu rechnen, ergänzt Klaus Raschzok. 

Engel halten Taufschale

Die Achse zwischen Altar und Orgel wird oft noch durch den zentral vor dem Altar stehenden Taufstein verstärkt. Fast menschengroße Engel halten Taufschalen über dem Kopf oder direkt vor sich. 25 Gottesboten sind erhalten, 17 davon schweben, knien oder stehen auf einer Wolke. Viele von ihnen konnten schwebend zur Taufe herabgelassen werden.

Auch die aufwendig bemalten Kirchendecken zogen die Blicke nach oben. Sie zeigen den geöffneten Himmel über den Menschen – selbst über den Emporeneinbauten aus Holz. Auf diesen ebenfalls typischen Elementen der Markgrafenkirchen fanden die Gläubigen entsprechend ihrer hierarchischen Stellung in der Gesellschaft Platz. Und
die Kirchen zusätzliche Einnahmen durch die „Stuhlmieten“. 

So sind diese oberfränkischen Gotteshäuser ein symbolträchtiger Schatz der Region, wie Regionalbischöfin Dorothea Greiner bei der Feierstunde im Institut für Fränkische Landesgeschichte im Schloss Thurnau zur Vorstellung des Tagungsbandes zusammenfasste: Er enthält die Forschungsergebnisse aus den Bereichen Geschichte und  Kunstgeschichte, Musikwissenschaft und Theologie. 

Die Regionalbischöfin freute sich nun: „Das Erscheinen dieses Buches ist einer der echten Meilensteine auf dem Weg zur Erschließung der Markgrafenkirchen. Der Tagungsband bündelt breites Wissen und den aktuellen Forschungsstand zum Thema Markgrafenkirchen.“ 

Neben den Mitgliedern des Historischen Vereins erhielten auch
verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen, Archive und Universitäten im ganzen Land, sowie Landkreise, Kommunen, Kirchengemeinden und weiterführende Schulen in der Region ein Exemplar des Tagungsbandes, der in einer Auflage von über tausend Stück gedruckt wurde.

Inventarisierungsprojekt endlich abgeschlossen

Gleichzeitig ist nun das große Inventarisierungsprojekt der Schätze von insgesamt 95 oberfränkischen Markgrafenkirchen abgeschlossen. Dorothea Greiner betonte dazu: „Diese Bände helfen den Kirchengemeinden, die Schätze ihrer Kirchen zu zeigen, zu schützen und zu nutzen. Die Ergebnisse dienen auch dazu, den Kirchenraum zu deuten und dadurch Glaubensimpulse zu geben. Wir haben einen wahren Reichtum an schönen barocken Markgrafenkirchen in Oberfranken. Er soll seine Wirkung sowohl für die Gemeindeglieder als auch für Gäste entfalten.“

Dieses umfangreiche Projekt dauerte insgesamt vier Jahre unter der Federführung von Kirchenrat Helmut Braun, dem Leiter des Referats für Kunst und Inventarisation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Alle festen und beweglichen Gegenstände in den Kirchen sind vermessen und dokumentiert: Kirchenraum und Ausstattung, Kanzel und Altar, Bilder und Figuren – Altes ebenso wie Neuanschaffungen. 

Auch gab das Team Ratschläge zu Umgang, Erhaltung und falls nötig Restauration der Kunstschätze vor Ort. Denn die Markgrafenkirchen sind natürlich inzwischen touristische Anziehungspunkte. 

Dabei war ihr Überleben lange Zeit nicht gesichert: Das 19. Jahrhundert konnte weder viel mit den Taufengeln noch mit den Kanzelaltären anfangen. Sie wurden nun als zu ausladend empfunden und theologisch negativ bewertet, wie Hans Peetz erklärt. Wilhelm Löhe hielt sie gar für eine „liturgische Sünde“.  Die Kanzel sollte nun genau an der Nahtstelle von Chor und Schiff angebracht sein. Taufengel, gerade in  herabschwebender Symbolik, bekamen erst wieder in den letzten Jahrzehnten neuen Sinn. Und was haben markgräfliche Herrschaftszeichen im Gotteshaus zu suchen?

Welche Formen der Frömmigkeit also sind statthaft und bedenkenswert? Diese Zeitzeugnisse der „schönsten Kirchen im ganzen Land“ können auch eine Meditation darüber anstoßen.