Ringen um Dialog und Kritik zu Israel

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Jerry Pillay, der jordanische Bischof Sani-Ibrahim Azar und Rabbiner David Fox Sandmel in Karlsruhe. Fotos: WCC

Stimmen zu der Sorge, dass der ÖRK antijüdische Tendenzen aufnehme

Die Sorge war groß: Erscheint der Ökumenische Rat der Kirchen zunehmend antisemitisch? Schließlich verbreite er das „Kairos-Palästina- Dokument“ weiter, so die Sorge jüdischer Repräsentanten. Dort fordern palästinensische Christen seit 2009, Israel wirtschaftlich, finanziell und militärisch zu boykottieren.

Hinzu kommt die Wahl Jerry Pillays im Juni zum neuen Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). Der Dekan der Fakultät für Theologie und Religion an der Universität Pretoria in Südafrika löst Anfang 2023 den scheidenden geschäftsführenden Generalsekretär Ioan Sauca ab.

Das Problem: Pillay verglich 2016 nach einer Reise nach Israel und in die palästinensischen Gebiete die dortige Situation mit der Apartheid in Südafrika. Er erklärte nach seiner Wahl: „Die Zitate und der Vergleich zwischen Israel und dem Südafrika der Apartheid waren keine Worte aus meinem eigenen Mund, sondern akademische Zitate.“ Er habe etwa UN-Aussagen zu Israel zitiert.

Der noch bis Jahresende amtierende Generalsekretär Sauca hatte schon zu Beginn der Vollversammlung erklärt: „Stehen wir auch gewissen politischen Strategien des Staates Israel seit 1948 kritisch gegenüber, so erkennt der ÖRK den Staat Israel an und achtet das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen und seine Bürger im Rahmen des Völkerrechts zu schützen. Wir widersetzen uns allen Formen von Antisemitismus und verurteilen sie.“ 

Allerdings gab es schon vor der Vollversammlung einen Antrag der von Mitgliedern der südafrikanischen Delegation, Israel als „Apartheidsstaat“ zu benennen. Besorgnis darüber äußerte zur Begrüßung der Versammlung Barbara Traub als Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Württemberg und im Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Von „Reue und Vergebung“ sprach Rabbi David Fox Sandmel, Vorsitzender des Internationalen Jüdischen Komitees für Interreligiöse Beziehungen. Er überbrachte Grußworte des Internationalen Jüdischen Komitees für Interreligiöse Beziehungen an die Versammlung. Diese falle mit dem hebräischen Monat der Reue, Elul, zusammen, der zur Vorbereitung auf den Versöhnungstag Jom Kippur diene. Der Rabbiner aus den USA erläuterte: „Eines der besten Beispiele für die Macht der gemeinschaftlichen Versöhnung kann man an dem sehen, was sich seit Ende der Shoah, des Holocaust zwischen Menschen jüdischen und christlichen Glaubens ereignet hat.“

„Dass viele christliche Theologen sowie Institutionen Antisemitismus ablehnen hat es vorher in der Geschichte der Menschheit nicht gegeben.“ Auch der ÖRK habe zur Gründung 1948 den Antisemitismus eine „Sünde gegen Mensch und Gott“ genannt und sich mehrfach gegen antijüdische Rhetorik und Gewalt ausgesprochen. 

Umgang mit Barrieren

Rondy Said, Pfarrer in Ramallah und zuständig für die Jugendarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL), erinnerte wiederum den ÖRK daran, dass im Laufe der Geschichte Mauern und Barrieren zu Verteidigungszwecken für ganze Bevölkerungen errichtet worden sind, aber auch für die familiäre und die individuelle private Abgrenzung. Er fügte hinzu, dass wir Barrieren auch zwischen uns und Gott errichteten, dass Gott aber diese Barrieren einreiße und dass das Gespräch schließlich das Schweigen besiege.

Sani-Ibrahim Azar, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land, bekräftigte, dass der jüdische Glaube ein überfließender Glaube sei. „Die Christinnen und Christen haben von Menschen jüdischen Glaubens gelernt, seit das Christentum gegründet wurde. Wir teilen mit unseren jüdischen Brüdern und Schwestern zahlreiche gemeinsame Werte und haben eine tiefe Wertschätzung
für unsere Glaubensbeziehung zum jüdischen Glauben.“ Weiter erklärt Azar: „Unsere Gespräche mit unseren jüdischen Nachbarn und Nachbarinnen bedeuten nicht, dass wir mit der israelischen Besetzung
einverstanden sind und auch nicht mit den zahlreichen Auswirkungen, die diese auf uns als palästinen-
sisches Volk hat. Wenn wir aber
darauf verzichten würden, unser Verständnis des christlichen Glaubens durch den interreligiösen Dialog zu vertiefen und zu erweitern, dann würde das bedeuten, dass die Besetzung die Art und Weise diktiert, wie wir unser Werk weiter fortsetzen.“

Und deutsche Stimmen? Diskussionen um den Nahost-Konflikt auf der Vollversammlung des Weltkirchenrates in Karlsruhe dürfen das Verhältnis zu Israel nicht belasten, so Heinrich Bedford-Strohm schon im Vorfeld der Versammlung: „Antisemitismus ist ein absolutes Tabu. Natürlich gebe es eine Solidarität mit den palästinensischen Christen. Gleichzeitig gebe es eine klare Solidarität mit Menschen jüdischen Hintergrunds. Das führe dazu, dass das Existenzrecht Israels eine klare Grundlage für den ÖRK sei. 

Die EKD-Auslandsbischöfin Petra Bosse-Huber hatte am vorletzten Tag der Versammlung Stellung bezogen: „Als Leiterin der deutschen EKD-Delegation sage ich sehr deutlich: Wir werden nicht von Israel als einem Apartheid-Staat sprechen.“

Das Ringen darum, was der ÖRK zu Israel und Palästina zu sagen hat, zieht sich bis zur Abschlusserklärung: Menschrechtsorganisationen hätten Berichte veröffentlicht, die Israels Politik und Handeln als auf „Apartheid“ hinauslaufend beschrieben. „Innerhalb der Versammlung unterstützen einige Kirchen und Delegierte stark den Gebrauch dieses Begriffes als akkurate Beschreibung der Realität der Menschen in Palästina/Israel (…), während andere diesen für unangebracht, nicht hilfreich und schmerzhaft halten. Wir sind in diesem Punkt nicht einer Meinung.“ 

Dagegen eindeutig und besonders bewegend erschien Azza Karam, Generalsekretärin von Religionen für den Frieden International. Sie fragte „Glaubt ihr, dass die Liebe Christi nur für Christen da ist? Ich als Muslima glaube, dass die Liebe Christi allen Menschen gilt. Christi Liebe bewegt uns dazu, nicht nur uns selbst, sondern allen Menschen zu dienen – und das sollten wir als Menschen des Glaubens gemeinsam tun!“ bor/epd

Die Abschlusserklärung zum Nahen Osten (auf Englisch): https://www.oikoumene.org/resources/documents/seeking-justice-and-peace-for-all-in-the-middle-east