Einsatz gegen Unterdrückung und Not

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31 August 2022, Karlsruhe, Germany: Frank-Walter Steinmeier, Federal President of Germany and Winfried Kretschmann, Minister-President of Baden-Württemberg, visited the 11th Assembly of the World Council of Churches, held in Karlsruhe, Germany from 31 August to 8 September 2022.
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (links) mit Annette Kurschus, der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, und Erzbischof Jewstratij Zoria von Tschernihiw und Nischyn von der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche. Foto: Sean Hawkey (WCC)

Ukraine-Krieg als eines der beherrschenden Themen zu Beginn der ÖRK-Vollversammlung

Deutliche Worte fand Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schon bei der Begrüßung der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK oder WCC nach der englischen Bezeichnung World Council of Churches) in Karlsruhe am 31. August. Diesem Gremium gehören rund 4.000 Delegierte aus mehr als 350 Kirchen weltweit an. Steinmeier sprach vom „blasphemischen Irrweg der russisch-orthodoxen Kirche gegenüber ihren Glaubensbrüdern“. Gleichzeitig hoffte er, dass die in Karlsruhe anwesenden Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche die „Wahrheit über den brutalen Krieg mitnehmen“. So setzte der deutsche Bundespräsident schon zur Eröffnung der Vollversammlung des Weltkirchenrates ein deutliches Zeichen.

Brückenbauen brauche Bereitschaft auf beiden Seiten des Ufers. Es könne nicht stattfinden, wenn eine Seite den Brückenpfeiler abreißt. Leider habe sich die russisch-orthodoxe „Kirchenführung mit dem Verbrechen des Krieges gemein gemacht“, bei der gar religiöse Stätten zerstört wurden. Steinmeier weiter: „Kein Christ wird darin Gottes Willen wiederfinden können. Das Kreuz, sagte er, bleibe das entscheidende Kennzeichen christlicher Identität. „Es kann, auch wenn es oft in der Geschichte so pervertiert worden ist, niemals ein weltliches Herrschaftszeichen sein“, sagte er. 

Erzbischof Jewstratij Zoria von Tschernihiw und Nischyn aus der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche warb als Delegierter seiner Kirche zwei Tage später vor der ÖRK-Vollversammlung, um eine Aufnahme seiner Kirche als Vollmitglied des ÖRK und gleichzeitig in die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK). Unter dem etwas harmlosen Titel der „Situation in Europa“ diskutierte die Vollversammlung diesen Antrag.

Bis nach 1990 habe seine Kirche wie alle orthodoxen Gemeinden auf dem Gebiet der Sowjetunion noch zur Russisch-Orthodoxen Kirche gehört. Dabei hätte sie ein gutes Drittel dieser Glaubensgemeinschaft ausgemacht. 2019 hatte sie ihren Unabhängigkeitsstatus vom Ökumenischen Patriachat von Konstantinopel erhalten (vgl. Sonntagsblatt Nr. 11, 20.3.2022, Seite 10). Seit Februar hätten sich fast alle orthodoxen Gemeinden der Ukraine der nationalen Kirche angeschlossen. Er erklärte, dass jede Gemeinde sich eigenständig entscheiden könnte, welcher Richtung sie sich unterordnen wolle.

„Seit mehr als drei Jahrhunderten haben das Russische Reich und die Sowjetunion versucht, die Einzigartigkeit des ukrainischen Volkes auszulöschen“, sagte Erzbischof Jewstratij. „Aber wir kämpfen erfolgreich für unsere Freiheit, für unsere unabhängige Zukunft.“ Er dankte ökumenischen Organisationen für ihre starke Position zur russischen Aggression. „Niemand hat das Recht, Aggression zu segnen, niemand hat das Recht, Kriegsverbrechen und Völkermord zu rechtfertigen“, betonte er.

Gespräche mit der russischen Seite habe es bis zu diesem Tagungsordnungspunkt nicht gegeben, so Jewstratij. Eine Vorbedingung der russischen Seite seien immer Bedingungen gewesen, dass weder ukrainische Priester und Bischöfe noch eine freie Entscheidung der Gemeinden anerkannt würde. Die ukrainische Seite wiederum wolle keine „Propaganda“ mehr hören.

Eine Pressevertreterin aus Hongkong merkte an, dass die russische Delegation nicht auf der Versammlung gehört wurde. Die Position Steinmeiers sei „ein Beispiel für den unverschämten Druck eines hochrangigen Vertreters der Staatsmacht auf die älteste zwischenchristliche Organisation“, erklärte der Metropolit und russisch-orthodoxe Delegationsleiter Antonij, zuständig für Außenbeziehungen seiner Kirche. Es handele sich um „eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Ökumenischen Rates der Kirchen, ein Versuch, den friedensstiftenden und politisch neutralen Charakter seiner Arbeit infrage zu stellen“.

In einer Erklärung, die am folgenden Tag in englischer Sprache unter Journalisten Verbreitung fand, stellte die Delegation der Russisch-Orthodoxen Kirche in englischer Sprache ihre Position dar: „Die Reaktion der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) über die Aussagen von Bundespräsident Steinmeier war intensiv. Nach Informationen von orthodoxtimes.com sollen sich die Mitglieder der Evangelischen Kirche über die Beharrlichkeit des Bundespräsidenten in Bezug auf die Anwesenheit der russischen Delegation bei der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe geärgert haben. Tatsächlich glauben sie, dass dies völlig im Widerspruch zum gesamten Stil und der Mentalität des Ökumenischen Rates der Kirchen als Vermittler steht“ (eigene Übersetzung). 

Bei der Aussprache nach dieser Rede kritisierte ein Teilnehmer dies auch als Versuch der Einflussnahme auf die Versammlung. Ein deutscher Delegierter aus Baden betonte, dass Schuldzuweisungen die Versöhnung erschwerten. Man solle offen bleiben „für die Wahrheit der anderen“. Eine einheitliche Bewertung oder gar Verärgerung der EKD ließ sich bis Redaktionsschluss nicht feststellen. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus traf sich mit Frank-Walter Steinmeier und Erzbischof Jewstratij zum gemeinsamen Foto (links).

Angriff verstärkte Not 

Die ukrainische Seite bat auch um weitere humanitäre Hilfen. Pfarrerin Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe, berichtete über ihr bisheriges Engagement in der Ukraine. Der Krieg hat dort unermessliches Leid über die Menschen gebracht. „Zerstörung, Vertreibung, Folter und gewaltsamer Tod sind die Realität für Millionen“, sagte sie. Sie hätten getan, was irgend ginge.

Gleichzeitig meinte Pruin in ihrer Rede vor der Vollversammlung, dass die russische Seite die „Not kalkuliert eingesetzt“ hätte – nicht nur gegenüber der ukrainischen Seite, sondern weiten Teilen der Weltbevölkerung. Globale Not sei seit Beginn des Ukrainekrieges massiv angestiegen. Die Hungerkrise sei aber schon lange vor dem russischen Angriff auf die Ukraine wieder auf dem Vormarsch, ergänzte Pruin. 

Ursache sei etwa, dass die Industrienationen in ungerechter Weise zu lange auf Kosten anderer gelebt hätten. Pruin sprach über die großen Herausforderungen, vor denen kirchliche Organisationen stehen, um Hilfe zu leisten – besonders, wenn Auswirkungen anderer Katastrophen wie den Folgen des Klimawandels, weitere Not bringen. Die globalen wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges habe die Zahl der Hungernden um 47 Millionen auf 345 Millionen Menschen steigen lassen.

=> Sonstige Impressionen von der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen