Nichts wird ausgelöscht

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern als Trost in Pandemiezeiten

Siehe, das ist mein Knecht, den ich halte, und mein Auserwählter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe ihm meinen Geist gegeben; er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen und seine Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen. In Treue trägt er das Recht hinaus. Er selbst wird nicht verlöschen und nicht zerbrechen, bis er auf Erden das Recht aufrichte; und die Inseln warten auf seine Weisung.

Jesaja 42,1–5a

Wie auf einer Insel fühle ich mich manchmal in diesen Pandemiezeiten: Kaum Kontakt, kein Händeschütteln, keine Umarmungen, kein Kaffeeklatsch, nur wenige Menschen, alles reduziert, beschränkt, auf Sparflamme. Ständiges Warten auf neue Weisungen, auf konkrete Verhaltensregeln, Anweisungen der Fachleute, Richtlinien, Updates. Flexibilität ist angesagt, alles scheint ständig im Fluss zu sein. Planen ist schwierig geworden angesichts schwankender Inzidenzzahlen, gefährlicher Virusmutanten und immer neuer Erkenntnisse. Ständig ist Spontanität gefordert, alle Sicherheit ist dahin. 

Auch als Nicht-Infizierte macht mich Corona müde. Das Feuer der Begeisterung droht mitunter zu erlöschen. Ich bin geknickt, wenn wieder Pläne umgeworfen, Veranstaltungen abgesagt, Treffen vertagt und ins Digitale verlegt werden. Vieles, wofür mein Herz brannte, gilt inzwischen als gefährlich: gut besuchte Gottesdienste, lebendiges Gewusel, rauschende Feste, Kirchenmusik aus voller Kehle, Begegnungen mit Leib und Seele. Wie soll Gemeindeaufbau funktionieren, wenn zulässige Besucherzahlen nicht überschritten werden dürfen, wenn Schrumpfen gesünder ist als Wachsen und stille Einsamkeit besser ist als gemeinsam das Leben zu feiern? Wie kann Glaube wachsen unter solchen Bedingungen?

Was Jesaja schreibt, macht mich nachdenklich. Er erzählt nicht von einem triumphierenden Herrscher, sondern von einem Knecht. Der hat es nicht immer leicht. Treu müht er sich für seinen Herrn. Er kämpft um das Recht. Doch ist er weder Marktschreier noch Demagoge. Im Stillen, Zarten, Feinen bringt er behutsam die Dinge voran. Er weiß: nicht nur unversehrte, lange Schilfrohre sind ein gutes Baumaterial, sondern man kann auch die kurzen, geknickten Rohre mit ihren Bruchstellen und Verletzungen gut brauchen. Und er weiß: wenn der Wind aus der richtigen Richtung weht, wird sogar ein schwach glimmender Docht kraftvoll neues Feuer entfachen. Nicht immer liegt im Lauten, Großen, Spektakulären die Kraft, sondern manchmal ist sie in den Schwachen mächtig. Behutsam geht der Knecht um mit den Dingen, auch wenn sie weder perfekt noch einleuchtend sind, sondern mickrig und unscheinbar.

In der frühen Kirche erklärte man sich das Handeln Jesu genau mit dieser Bibelstelle (siehe z.B. Matthäus 12,15-21). Unscheinbar und klein hatte doch alles angefangen: Ein Kind in der Krippe, ein Wanderprediger mit ein paar wenigen Nachfolgern, ein vermeintlich Gescheiterter am Kreuz, ein Senfkorn im Acker, ein bisschen Sauerteig in den Händen einer Frau und ein Apostel, der schreibt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit (2. Korinther 12,9). Alles nicht gerade spektakulär, sondern ziemlich bescheiden. Und doch wurde eine weltbewegende Kraft daraus!

Es darf also mal ruhiger zugehen. Nicht alles muss sofort sein, nicht jede Idee von Erfolg gekrönt. Scheitern, Trauer, Unsicherheit, Schwäche und Müdigkeit gehören offenbar von Anfang an dazu. Dennoch wird nichts ausgelöscht und nichts zerbrochen. Eine tröstliche, geistvolle Perspektive in schwierigen Zeiten!

Ulrike Wilhelm, Pfarrerin in Garmisch-Partenkirchen