Unbändige Freude

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er‘s findet? Und wenn er‘s gefunden hat, so legt er sich‘s auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.

Lukas 15, 1–7

Vor ein paar Tagen habe ich ganz verzweifelt überall mein Handy gesucht. Was für ein Aufatmen, als ich es wieder fand. „Bin ich froh!“

Auch Jesus erzählt vom Verlieren und vom Finden, und er bezieht das auf seinen Vater im Himmel. Welchen Schmerz empfindet dieser Vater über jeden Menschen, der verloren ist. Und welche Freude empfindet er über jeden, der gefunden ist! Verlorensein trennt von Gott. Gefundensein, Umkehr und Glaube an Gottes Vergebung schenkt neue Gemeinschaft. 

Wir reden nicht gern von Sünde. Jesus aber tut es. Es heißt ausdrücklich, dass er „die Sünder“ annimmt. Er sieht den Menschen eben wie er ist. Vor allem sieht er jeden Ein-zelnen. Jeder Mensch ist Gottes Geschöpf und hat für ihn deshalb eine unverwechselbare Würde. Auf dem Hintergrund des Denkens seiner Zeit, wo der einzelne Mensch wenig galt, ist es schon bemerkenswert, wie sehr Jesus gerade das betont. 

Am Beispiel vom verlorenen Schaf zeigt Jesus, wie intensiv Gott dem Einzelnen, der aus dem Bund mit ihm herausgefallen ist, nachgeht. Als guter Hirte lässt er die 99 Schafe in der Wüste allein, um das eine verlorene zu suchen. Das ist ein im alltäglichen Leben geradezu unverantwortliches Handeln! Aber damit macht Jesus klar: Gott ist nicht bereit, auch nur einen einzigen Menschen aufzugeben. 

Warum ist das so? – Weil Gott ein liebender und rettender Vater ist. Und weil er nichts lieber tut, als sich zu freuen „über einen Sünder, der Buße tut.“ Der Theologe Paul Schütz hat einmal gesagt: „Gott ist einsam geworden. Es gibt keine Sünder mehr!“ Gott will jedoch nicht einsam sein. Er sehnt sich nach nichts mehr als nach Gemeinschaft – mit uns Sündern. Nicht nach Gemeinschaft mit den Selbst-Gerechten, sondern mit den Sündern. Alles, was es von unserer Seite aus dafür braucht, ist Ehrlichkeit. Sich finden lassen. Umkehren. Die Liebe des lebendigen Gottes empfangen und sie erwidern: sich freuen.

Was für ein Privileg ist es, in unserer gnadenlosen Gesellschaft der Selbstoptimierer ein Sünder sein zu dürfen. Sich und andern nichts vormachen zu müssen, nicht nur oberflächlich die Show mitzuspielen, sondern mutig in die Abgründe schauen zu können, vor allem in die eigenen. Was für ein Privileg ist es, das Verlorensein zugeben und sich finden lassen zu dürfen. Wahrhaftig leben, über sich weinen können. Und sich dann unbändig freuen, weil man gefunden ist. Sich freuen über Jesus. Freude spüren und feiern. Nicht erst im Himmel, sondern jetzt schon in der Kirche gemeinsam feiern: „Freut euch mit mir!“

Klaus Schlicker, Dekan aus Windsbach