Entblättertes Schmuckstück

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Einblicke in die Renovierung der Rothenburger Judengasse mit Architekt Andreas Konopatzki

Renovierungsarbeiten in der Rothenburger Judengasse 10/12 legen alte Bauweise frei

Die alten Steine sind gut abgeklopft und sorgfältig gestapelt. Selbst der alte Lehm, mit Jahrhunderte altem Stroh gemischt, ist ein Rohstoff für die Zukunft. Bei der Renovierung des Doppelhauses in der Rothenburger Judengasse 10/12 sind die alten Gebäude entblättert wie eine Zwiebel. Die Wände sind teils in mehreren Schichten abgetragen. So erlauben sie ganz unerwartete Einblicke in die Entstehungszeit vor gut 600 Jahren. 

Denn um 1410 erblickte das Doppelhaus das Licht der Welt. Diese in sich geschlossene Bauweise zeigt sich schon daran, dass die Nummerierung der Sparren fortlaufend erfolgte. Dies ist gerade beim aktuellen Stand der Renovierungsarbeiten gut zu sehen. 

Seit den 1980-er Jahren waren die Gebäude dann unbewohnt dem Verfall preisgegeben. Ihnen drohte der Abriss. Der ließ sich knapp verhindern. Denn der Architekt Eduard Knoll und seine Mitstreiter vom Verein Alt-Rothenburg erkannten schon damals die kulturgeschichtliche Bedeutung des Hauses. Besonders bedeutend ist die Mikwe unterhalb des Gewölbekellers aus der Bauzeit des Hauses.

Mikwe als besonderes kulturelles Erbe

Der Verein Alt-Rothenburg erwarb die Haushälfte Nr. 12 bereits 2002. Vier Jahre danach auch Nr. 10 mit der Mikwe. Da die Mittel des Vereins für eine Sanierung nicht mehr ausreichten, wählte es die Stiftung Kulturerbe Bayern nach einer entsprechenden Bewerbung zu ihrem ersten Schützling aus. So gestaltet sich die Finanzierung für die Renovierung der beiden Haushälften unterschiedlich. Neben den Mitteln der Stiftung Kulturerbe unterstützt der Entschädigungsfonds die Instandsetzung der Judengasse 10 mit 725.000 Euro. Trotzdem kann die Bewahrung beider Gebäudeteile in einem Guss erfolgen. 

Zur Mikwe führt direkt neben dem Hauseingang eine Treppe hinunter. So konnten sie auch Personen von außerhalb benutzen, ohne die Hausbewohner zu stören. Solch ein Ritualbad stand der gesamten jüdischen Gemeinde zur Verfügung. Heute führt eine Treppe von der Rückseite des Hauses in den Keller.

Da die Judengasse ein starkes Gefälle hat und das Doppelhaus 10/12 ziemlich weit unten liegt, mussten die Menschen nicht tief graben: Nach nur etwa anderthalb Metern gelangten sie zur wasserführenden Felsschicht. Das nutzten auch die Bewohner des Hauses Nr. 12. Dort fand sich ein Brunnenschacht. Das heißt, ursprünglich lag er direkt neben dem Haus in einem Durchgang zur St. Jakobskirche. So erklärt es der Architekt Andreas Konopatzki, der die Renovierungsarbeiten leitet. Erst Jahrhunderte später wurde der Durchgang überbaut und der Haushälfte Nr. 12 zugeschlagen. 

Mangelndes Geld für Umbau als Chance für den Erhalt der Häuser der Judengasse

Ansonsten sind die Häuser weitgehend in ihrem mittelalterlichen Zustand erhalten. Nach der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung im Jahr 1520 bezogen Mitglieder ärmerer Bevölkerungsschichten die nun leerstehenden Häuser. Teils bezogen sie auch Hirten, die damals weit unten standen. In der Zeit des Dreißigjährigen Krieges sollen gar Marketenderinnen das Haus mit der Nr. 29 bewohnt haben. Der Vorteil: Für Umbaumaßnahmen stand nur wenig Geld zur Verfügung.

So erhielt sich auch die Bohlenstube im 1. Obergeschoss aus der Zeit um 1550. Vorsichtig hat Restaurator Stephan Rudolph mit seiner Tochter Kira Anders und seinem Team die alten Holzbretter abgetragen. Nun arbeiten sie sich durch das Innenleben der Wände, um sie zu erhalten. Nach altem Verfahren mischen sie wieder Strohlehm, dem sie die noch verwertbaren ursprünglichen Reste wieder hinzufügen.

Variantenreicher Bau

Ein paar Schritte weiter ist in einem Nebenraum eine weitere Wand bis auf das Flechtwerk abgetragen. Der Lehmverputz wird gerade erneuert. So variantenreich der Bau, so variabel ist auch die weitere Nutzung: „Die spätmittelalterliche Mikwe im Gewölbekeller wird Kulturerbe Bayern öffentlich zugänglich und erlebbar machen“, erklärt die Stiftung. Das Erdgeschoss der Nr. 10 hat hallenartigen Charakter. Nach der Renovierung ist sie als kleiner Veranstaltungsraum vorgesehen. Im ersten Obergeschoss mit der historischen Bohlenstube wird der Verein Alt-Rothenburg seine Vereinsräume eröffnen. 

Außerdem sind Wohnungen geplant. Etwa im zweiten Obergeschoss der Hauhälfte Nr. 10: Dort ist ein offenes Appartement über rund 50 Quadratmeter Wohnfläche geplant. Wärme soll eine unauffäl-lige Wandheizung geben. Eine Treppe führt hoch hinauf auf eine Galerie direkt unter dem Dach. Doch soll der unverstellte Blick frei auf die alten Dachsparren und die verputzte Trennwand zur Haushälfte Nr. 12 frei bleiben, erläutert Architekt Konopatzki. Die alte Identität und die Wände sollen für sich wirken.

Plötzlich ist er nach draußen verschwunden und turnt über das halbfertige Dach. Demnächst soll es auch mit alten Dachziegeln wieder gedeckt sein. Dafür sucht die Stiftung Kulturerbe Bayern noch Paten, die ab zehn Euro dabei sind.

Noch sind die Häuser mit Planen und Absperrungen gesichert. Doch dahinter ist schon viel geschehen: Auch wenn die Wände aufgebrochen sind, der Fußboden eine einzige Stolperfalle und es teils noch feucht in den Räumen riecht, so soll doch bis zum kommenden Jahr die Renovierung in trockenen Tüchern sein. Susanne Borée

Ein virtueller Rundgang durch das Haus unter

https://www.judengasse10.de/home.html

https://www.kulturerbebayern.de/unsere-schuetzlinge.html