Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Chefredakteur Martin Bei-Baier
Als meine Frau und ich 1996 zum ersten Mal Washington besuchten, war es ganz einfach das Pentagon, das Weiße Haus und natürlich das Kapitol zu besuchen. „Das ist alles Eigentum des Volkes“, hieß es da. Besucher waren willkommen – auch wir als Ausländer – und jeder dem wir begegneten war sich der Besonderheit dieser Gastfreundschaft und des freundlichen Umgangs miteinander bewusst. Sicherheitskontrollen waren zwar da, aber minimal.
Wie hat sich dieses Land gewandelt! Und das von innen heraus! Jetzt hat sich ein aufgebrachter Mob gewaltsam Zugang zum Kapitol, dem Sitz des Kongresses verschafft. Als Legitimation sahen sie genau diesen Grundsatz an, „Es ist unser Kongress“. Aufgestachelt wurden sie durch gezielt gestreute Propagandalügen durch Präsident Donald Trump. Wer glaubt, er sei naiv oder geistesgestört, der irrt. Trump spaltete sein Land bewusst und bedient sich von Anfang an der Mittel, die auch Diktatoren oder zumindest Rechtspopulisten in ihrem Repertoire haben.
„Trump hatte ein klares Kalkül, als er die Massen zum Sturm des Kapitals anstiftete: Er wollte die Gewalt schüren, und dann den Notstand ausrufen um an der Macht zu bleiben“, schreibt der emeritierte Münchner Geschichtsprofessor Wolfram Sieman in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Man sei am Rande des Abgrunds der Demokratie gewesen. „Den Amerikanern fehlt die Phantasie, wie leicht es ist … das System auszuhebeln.“ Dadurch konnte es so weit kommen, weil er viele mit-wissende und auch unwissende Unterstützer hat.
Das hat auch Auswirkungen bei uns. Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ruft nach der Erstürmung des Kapitols gerade Christen dazu auf, ihren Beitrag zu einer friedlichen Konfliktlösung zu leisten. „Einige evangelikale Gruppen haben keine gute Rolle in den letzten Jahren in den USA und auch anderswo gespielt“, sagte Schick laut einer Mitteilung des Evangelischen Pressedienstes (epd). „Sie haben sich zum Steigbügelhalter von Politikern degradiert, deren Politik einen Widerspruch aus dem Evangelium fordert.“
Er spricht ein Phänomen an: Der Sturm auf das US-Kapitol ist der Höhepunkt einer Reihe von Angriffen auf Parlamente und Abgeordnete auf der ganzen Welt in den letzten Jahren. „Deutschland gehört leider Gottes auch dazu“, sagte Schick. Christen müssen hier gegensteuern, meint auch