Lässt Gott Warnungen und Vorzeichen zu?

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Koberger-Bibel von 1483 aus dem Germanischen Nationalmuseum Nürnberg
Kolorierter Holzschnitt der so genannten Koberger-Bibel von 1483 zur Apokalypse des Johannes: Vision des siebenköpfigen Tiers. Foto: GNM

Wie sich Vorhersagen mit dem Christentum und auch der Aufklärung vereinbaren ließen

Was wird die Zukunft bringen? An diesem Jahreswechsel fragten sich das wohl die Menschen mehr denn je. Zeigte doch Corona im vergangenen Jahr 2020, wie schnell auch die sorgfältigsten Planungen und detailliert ausgearbeiteten Reise-Ideen scheitern konnten. Der Zufall ist gerade „schwer auszuhalten, wenn die Bedrohung existenziell wird“, so das Germanische Nationalmuseum. 

Es hatte im Herbst eine eigene Ausstellung zu dem Thema konzipiert. Kuratorin Marie-Therese Feist organisierte sie zusammen mit dem National Museum of Taiwan History und der Academia Sinica in Taipeh sowie der Uni Erlangen-Nürnberg und der Westfälischen Universität Münster. Seit Anfang Dezember steht sie fertig im Nürnberger Museum und könnte Morgen öffnen – wenn die Museen wieder Besucher empfangen könnten. Wann das sein wird? Das kann bei Redaktionsschluss noch niemand vorhersehen. 

Dennoch sollen zum Jahresbeginn Ideen aus dem Ausstellungskatalog „Zeichen der Zukunft“ Gestalt gewinnen. Der Jahreswechsel zeigt: „Die Unsicherheiten verstärkten das Gefühl, in ‚apokalyptischen Zeiten‘ zu leben“, wie der Katalog meint. 

Christentum zwischen antiker Wahrsagerei und alttestamentlicher Prophetie

Gerade die antiken Gesellschaften waren „von einer ausgesprochen vielfältigen Kultur der Wahrsagung geprägt, die zudem eng mit religiösen Praktiken verbunden waren“. Kein Wunder, dass das Christen völlig ablehnten, als es sich im Römischen Reich ausbreitete. 

Andererseits hatte es im Alten Testament die Propheten gegeben, die ihre Warnungen vor der Zukunft gerade den Mächtigen entgegen schleuderten. Josef hatte dem Pharao die Träume gedeutet und somit die drohende Hungersnot abgemildert. Auch die Apokalypse des Johannes im Neuen Testament sah das Weltende als Zeit der Katastrophen und der Bewährung voraus.

Da „war diese Ablehnung aber damit zu versöhnen, dass zumindest für Gott die Zukunft bereits existierte“, so Ulrike Ludwig, Professorin für Geschichte an der Wilhelms-Universität Münster in ihrem Beitrag zum Wahrsagen im Abendland. „So ließ sich argumentieren, dass Gott jenseits prophetischer Verkündungen Zeichen, genauer Vor-Zeichen gebe, etwa in Form von Erdbeben und Kometen. Denn weshalb sollte Gott diese sonst sinnlosen Phänomene zulassen, wenn er damit nicht auf Künftiges oder auch anders Verborgenes hinweisen würde?“

Doch die Zeichen wiesen nicht auf eine unausweichliche Zukunft hin. Nein, sie waren als göttliche Warnung zu verstehen. Wer ernsthaft Buße tat, konnte die Strafe von sich abwenden und so die Zukunft besser gestalten. Dies gelang der Einwohnerschaft von Ninive, die nach der Warnung des Propheten Jonas vor dem Strafgericht Buße tat und zu dessen Enttäuschung die Zerstörung verhinderte. Andererseits waren zutreffende Vorhersagen möglich – wenn Gott es wollte.

Im Neuen Testament „war die Zukunft ganz wesentlich auf das Reich Gottes und die diesem vorgelagerte Apokalypse als allseits erwartetes Nahereignis beschränkt.“ Bei dem siebenköpfigen Tier der Apokalypse ist offen, „ob es sich um Ausprägungen des Teufels, des Antichrists oder um die Allegorie einer weltlichen Macht handelt oder um alles zugleich. Daher eignet sich die Darstellung als Projektionsfläche für zahlreiche Feindbilder.“

Doch scheinbar sichere Vorzeichen konnten sich immer auch als teuflische Einflüsterung und Täuschung erweisen. Gottes Wille blieb unerforschlich. Das Christentum hatte da weiter ein gespaltenes Verhältnis zum Wahrsagen. Nun verzögerte sich das Weltende in den kommenden Jahrhunderten zunehmend. Auch wenn bei Einschnitten wie dem Jahr 1000 das Weltende erneut in verstärktem Maße erwartet wurde, so richteten die Menschen zunehmend weniger ihr Augenmerk auf die Apokalypse.

Sehnsucht nach Vorzeichen

Diese Haltung veränderte sich in der Pestzeit dramatisch. Die Pandemie, Katastrophen aber auch das verwirrende Papstschisma zeigten sich als neue Bedrohungen. Wen konnten die Menschen noch trauen, wenn zwei oder gar drei Päpste gleich-zeitig unterschiedlicher Meinung waren? Immer mehr Texte beschäftigten sich mit dem offenbar bevorstehenden Weltenende – und kritisierten gerne die eigene Zeit.

Und dann brach der Buchdruck alle Dämme: Publikationen ließen sich nun ungeahnt kostengünstig verbreiten. Gedruckt wurde, was auf Interesse stieß. Auf Qualitätskriterien achteten auch seriöse Verlag erst allmählich. Wissen über Wahrsagerei verbreitete sich mehr und mehr. Glaubens- und Wirtschaftskrisen oder die neue Unübersichtlichkeit der Welt förderten geradezu das Bedürfnis nach möglichst sicheren Aussagen über die Zukunft.

Aufklärung schuf neue okkulte Formen

Rund 250 Jahre später bestritten die Aufklärer des Abendlandes erstmals die prinzipielle Möglichkeit, jenseits von Wahrscheinlichkeitsrechnungen und ihren Geschwistern die Zukunft vorherzusagen. Doch ganz im Gegensatz dazu förderten zunehmende Alphabetisierung, den zunehmenden Druck von immer billigeren Büchern, gerade auch in den Volkssprachen die Ausbreitung weniger gelehrter Schriften. Der Einfluss der kirchlichen Autoritäten schwand und eröffnete neue Freiräume. Erst damals breiteten sich etwa Tarotkarten aus – ebenfalls begünstigt durch Druck.

Das 19. Jahrhundert brachte eine Explosion des technischen Wissens. „Zugleich tauchte mit dem Okkultismus eine genuin wissenschaftliche Bewegung auf, die sich zum Ziel setzte, übersinnliche Phänomene als ebensolche zu begreifen und zu erforschen“, so Ulrike Ludwig weiter. „In öffentlichen Séancen zeigten Medien unter streng ‚wissenschaftlicher‘ Beobachtung und vor Publikum ihr Können. Man dokumentierte und kontrollierte und hoffte so, eine Welt der Geister und übernatürlichen Geschehnisse zu erschließen. Auch hier war der Übergang zum Spiel fließend, aber Berichte von Teilnehmern der Séancen zeigen sich nachhaltig verunsichert.“

Bald zeigten Fotografien gar Bilder von „Geistern“. Sie ließen sich später als Resultate verschmutzer Bildträger oder durch Probleme bei dem zunächst schwierigen Umgang mit Belichtungszeiten erklären. Doch zuerst erschienen sie als objektive Beweise übersinnlicher Existenzen. Schließlich konnten auch Röntgenbilder in den Körper hineinschauen. Warum ließ sich nicht auch weiteres Unsichtbares zeigen? Fotos konnten ja nicht lügen!

So weit abendländische Traditionslinien der Ausstellung. Mit rund 130 Exponaten spannt sie nicht nur einen großen zeitlichen Rahmen, sondern auch einen geografischen Bogen nach Ostasien bis zu rund 3.000 Jahre alten chinesischen Orakelknochen. Sie zeigt erstaunliche Parallelen zwischen diesen Kulturkreisen auf. Da lohnen weitere Entdeckungen!

Aktuelle Informationen unter https://www.gnm.de