Überfremdung, Dankopfer oder Austausch?

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Museumsleiter Thomas Greif vor dem Kofferturm im Diakoniemuseum.
Museumsleiter Thomas Greif vor dem Kofferturm im Diakoniemuseum. Foto: Borée

Neue Ausstellung „Ferne Nächste“ im Rummelsberger Diakoniemuseum

Fast drei Jahrhunderte und der ganze Weltkreis sind auf wenigen Quadratmetern vereint: Das Rummelsberger Diakoniemuseum hat die neue Ausstellung „Ferne Nächste“ im Diakoniemuseum in Rummelsberg eröffnet. Ein Berg an klobigen Koffern und Reisekisten zieht die Gäste in die Ausstellung hinein. Es sind originale Gepäckstücke der Missionare, mit denen sie in alle Welt unterwegs waren.

Was hatten die ausgesandten Missionare und Diakonissen, Ärztinnen und Piloten im Gepäck? Die christliche Botschaft sicher. Daneben aber auch umfangreiche medizinische Kenntnisse und umfassende Hilfsbereitschaft. Im Untertitel vermeidet die Schau bewusst das Wort „Mission“, sondern präsentiert „Weltweite Diakonie aus Bayern“. Das heilende und helfende Tun stellt die Schau heraus, auch wenn es von Verkündigung begleitet war.

Die wesentlichen Werke und Diakonien im heutigen Freistaat – und darüber hinaus – waren daran beteiligt. Ihre Arbeit und ihre Schwerpunkte stellt der erste Teil des Ausstellungskatalogs ausführlich vor. Die Schau selbst ist weitgehend nach den Kontinenten geordnet, in denen die Ausgesandten tätig waren. Dazu gibt es anschauliche Objekte wie einen Fußtrittbohrer, mit dem sich Zähne auch bei Stromausfall behandeln ließen. Interviews und Filme spannen den Bogen von ersten Darstellungen der Missionsarbeit in den 1920-er Jahren über die Entwicklungshilfe hin zu partnerschaftlicher Zusammenarbeit in der aktuellen Corona-Zeit. 

„Brot für die Welt“ und andere Hilfsorganisationen leisten seit 1959 weltweit Unterstützung. Getragen waren sie zunächst von der Idee des Dankopfers nach der erhaltenen Hilfe in der Nachkriegszeit. Die Entwicklung von Spendendosen und -plakaten für die weltweite Diakonie in der Rummelsberger Ausstellung verdeutlicht den Wandel des Denkens hin zur partnerschaftlich gelebten diakonischen Identität.

Jürgen Bergmann fordert als Leiter des Referates „Entwicklung und Politik“ von „Mission EineWelt“ im Katalog: Allen Ländern solle eine nachhaltige Wirtschaft ermöglicht sein. Ab den 1970-er Jahren ging Entwicklungsarbeit auch strukturelle Probleme an. Die Kampagnen bis hin zum Engagement gegen das Freihandelsabkommen TTIP trugen dazu bei, Gründe für „Armut und Unrecht beim Namen zu nennen“ und chronische Katastrophen zu bekämpfen. Ärmere Länder gehören nun zu Brennpunkten von Verteilungskämpfen im Klimawandel.

Ein umfangreicher zweiter Teil des Ausstellungskataloges widmet sich chronologisch geordnet 20 Menschen. Sie gingen von Bayern aus in alle Welt und leisteten dort konkrete diakonische Arbeit: Ein wenig schräge Vögel wie China-Missionar Ernst Faber sind darunter, der Europa den Gelehrten Konfuzius näherbrachte und fachfremd aber erfolgreich als Arzt praktizierte. 

Margarethe Häfner ging als Missionarsfrau um 1860 nach Südamerika. Sie heiratete dort einen verwitweten Missionar mit kleinen Kindern, ohne ihn zuvor gesehen zu haben. Nur den Segen der Schwiegermutter hatte sie im Gepäck. Kurz nach der Hochzeit starb der Ehemann. Nun bestimmten die Herrnhuter Brüder, die die Mission betreuten, per Los einen neuen Ehemann für sie und schickten ihn in die Ferne. Trotzdem „fanden sich unsere Herzen zusammen in der Überzeugung, daß der Herr uns füreinander bestimmt hat“, schrieb sie. Nach Abschaffung der Sklaverei in Surinam half sie den Menschen dort.

Thomas Greif hat auch ambivalente Lebensläufe herausgearbeitet. Rudolf Boeckh schickte nach seiner Rückkehr als Missionsarzt in China um 1940 mehr als 800 pflegebedürftige Menschen aus Neuendettelsau beim Euthanasieprogramm der Nazis in den Tod. Johann Buchta (über den das Sonntagsblatt in der Pfingstausgabe berichtete, um die Ausstellung vorzubereiten) diente als Krankenpfleger segensreich unter den Massai in Tansania, bevor er im Zweiten Weltkrieg nicht nur als Soldat, sondern auch als Mitglied der NSDAP am Atlantikwall kämpfte. 

Dagegen betonte Samuel Müller noch 1938 die „Erwählung des jüdischen Volkes“ durch Gott. Und mit Sack und Pack evakuierte Diakon Karl Mittermayr am Ende des Zweiten Weltkrieges ein ganzes Waisenhaus evangelischer, deutschsprachiger Kinder aus serbischen Gebieten. Er stand Ende 1944 mit ihnen in Rummelsberg vor der Haustür. 

Zur Eröffnung der Ausstellung kam nun ebenfalls die Welt ins Diakoniedorf bei Nürnberg. Die Hygieneregeln und Reisebeschränkungen ließen sich dabei einhalten. Es brauchten keine Koffer mehr gepackt werden. Trotzdem waren die Rummelsberger weltweit im Kontakt mit ihren Partnern: Es gab zur Eröffnung online Verbindungen mit Liberia, Tansania oder Papua-Neuguinea oder Filme von dort zu sehen. Diakonie im Ausland ist heute keine Einbahnstraße mehr ist, betonte der Rummelsberger Rektor Reiner Schübel bei der Eröffnung. 

Dafür steht ebenfalls ein nachdenklicher Beitrag Emmanuel Kileos im Katalog. Der tansanische Pfarrer war bis vor wenigen Jahren in Kaufbeuren tätig und promovierte in Neuendettelsau. Inzwischen lehrt er wieder in Tansania. Kileo hatte auch während seiner Zeit in Bayern bewusst die Bezeichnung „Missionar“ für seine Tätigkeit im Gepäck. 

„Alle Getauften sind doch Missionare, die auch missioniert werden sollen“, meint er. Dies geschehe gemäß Karl Barths Gedanken, „dass es im Leben des Menschen Worte gibt, die sich der Mensch nicht selbst sagen kann. Gottes Wort ist ein solches Wort, dass uns andere zusprechen müssen.“ Bei gegenseitiger Hilfe zeigt sich die Mission Gottes.

Manche christlichen Afrikaner „vergeben den Missionaren ihre Schwäche, da sie das Evangelium – das Licht der Welt – gebracht haben“ – auch wenn sie dadurch der kolonialen Ausbeutung oder kulturellen Überfremdung freie Bahn bereitet haben. „Die Missionare waren ja auch keine Heiligen!“ 

Verkündigung kann für ihn nicht geschehen, ohne Hilfen im Gepäck zu haben: „Das Bewusstsein für Offenheit und diese globalen Fragen führt zu verstärktem Engagement für die Bedürftigen und Benachteiligten“, erklärt er. „Nur wenn Diakonie in einem globalen Kontext verstanden wird, so kann sie ihre Hand grenzenlos strecken, um zu helfen und zu heilen.“ Susanne Borée

Die Ausstellung im Diakoniemuseum (Rummelsberg 47) ist dienstags, donnerstags und am ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr geöffnet. An den geöffneten Sonntagen findet um 14.30 Uhr jeweils eine öffentliche Führung statt. Für Gruppen sind Führungen nach Vereinbarung jederzeit möglich. Terminanfragen an buchfink.andrea@rummelsberger.net oder telefonisch unter 09128/502274. Weitere Infos: https://www.diakoniemuseum.de