Dass es so weitergeht, ist die Katastrophe

1585
Energiewende. Foto: Kraus
Energiewende. Foto: Kraus

Corona-Krise als Chance zum Innehalten und Nachdenken über das, was ich brauche

Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott.“ Unter dieses Lutherzitat stellte Kirchenrat Wolfgang Schürger seinen einführenden Vortrag. Das Evangelische Bildungszentrum Bad Alexandersbad hatte zu einem Webinar „ressourcenleichter leben“ geladen, das Heidi Sprügel organisierte. Die Corona-Krise hat uns zum Nachdenken darüber gebracht, was wir wirklich brauchen, so der Beauftragter für Umwelt- und Klimaverantwortung der Landeskirche. Da gehe es sicher um viele materielle Güter bis hin zu dem viel zitierten Toilettenpapier, aber genauso um finanzielle, soziale oder berufliche Sicherheiten. 

In der Exodus-Geschichte diskutiert allein schon die Manna-Geschichte den Sicherheitsgedanken: Gott gibt den Israeliten genug für den Tag zu essen. Aber alles, was sie aufheben, verdirbt. Wir selbst hinterlassen für unseren Wohlstand und für unsere Sicherheit einen viel zu großen ökologischen Fußabdruck.  

Wie wird unser Leben nach der Krise aussehen? Kann es einfach so zur „Normalität“ zurückgehen? Immer augenfälliger wird, dass sich Lebensstil und Konsumverhalten deutlich verändern müssen. Nicht nur die aktuellen Corona-Skandale in der Fleischindustrie würden deutlich machen, dass ein Umsteuern notwendig ist. Hoffnungsvolle Zeichen sieht Wolfgang Schürger im aktuellen Konjunkturpaket der Bundesregierung.

Fasten  versteht er als festen Bestandteil christlicher Tradition: Von den „Sieben Wochen ohne“ bis hin zum Klima- oder Plastikfasten lässt es uns auch aktuell darüber nachdenken, dass weniger mehr sein kann. Was also brauchen wir wirklich? Gute Wohnverhältnisse waren in Zeiten des Homeoffices gefragter denn je. Gibt es auch ein Zuviel des beanspruchten Platzes? Wie viel Unsicherheit halten wir aus? Wie viel Entschleunigung tut uns gut? Da können gerade christliche Gemeinden Bereiche der Gegengesellschaft und Lernorte sein. 

Chance durch Innehalten?

Auch auf einer anderen Ebene beschäftigte sich das Evangelische Bildungszentrum mit weiteren Impulsen aus der Corona-Zeit. Der Austausch zum Thema „Spricht Gott durch die Corona-Krise?“ (vgl.  Sonntagsblatt 23, Seite 4) ging bis Ende Juni weiter. Die Leitfragen der vergangenen Abende lauteten: Plötzlich ausgebremst – als Chance für ein besseres Leben? Wo soll es im Bereich von Wirtschaft, Globalisierung und Politik nach Corona „nicht so“ weitergehen? Und: Hat die Kirche in der Krise „richtig“ reagiert?

Manche Umfragen hätten ergeben, dass es vielen Menschen während des Herunterfahrens der Wirtschaft besser ging als zuvor: Sie konnten ihr Hamsterrad verlassen. Sie konnten über ihr Leben und dessen Sinn nachdenken. Viele spürten entweder zusätzlichen Stress oder die Belastungen der Einsamkeit. Doch das Ausbremsen der Routinen zeigte auch produktive Kräfte. Dieses bessere Leben findet man aber nur, wenn man nicht an der „Oberfläche bleibt, sondern den Dingen und sich selbst auf den Grund geht. Verdrängung ist keine Lösung. Krank machende Mechanismen muss man durchschauen“, so Hirschberg.

Wird die Katastrophe nicht kommen, wenn alles so weitergeht wie bisher? So dachte bereits Walter Benjamin vor mehr als 80 Jahren. „Die apokalyptische, die enthüllende Funktion von Corona besteht darin, dass dieser Virus viele Fehlentwicklungen in unserer Welt klar hervortreten lässt. Die spannende Frage heißt deshalb: Lassen Menschen sich davon bewegen? Merken wir, dass die Menschheit an einem Scheidepunkt angelangt ist?“, so Hirschberg. Das berühre sicher unseren Lebensstandard. Ist nur ein sicheres und wohlhabendes Leben gut?

Und die Kirche? Es geht natürlich nicht darum, im Nachhinein vieles besser zu wissen. Das Herunterfahren der Gottesdienste unterbrach mögliche Ansteckungsketten. Natürlich verfestigte sich trotz aller Online-Gottesdienste je länger, je mehr ein Gefühl des Verlustes. 

Wie sah es bei der Seelsorge aus? Trotz vieler kreativer Ideen dort fühlten sich gerade ältere Menschen allein gelassen. Die Teilnehmenden hatten einen stärkeren Bezug zu „normalen Menschen“ vermisst. Wie lassen sich etwa Einsame erreichen? Und „Die Landeskirche müsste eine Bestandsaufnahme machen!“ Was lief gut? Welche Verbesserungen sind möglich?  

Nachhaltige Impulse

Wolfgang Schürger wiederum nannte beim Nachdenken über das ressourcenorientierte Leben ausdrücklich die Tradition der Klöster als „Orte nachhaltigen Wirtschaftens, der Gegengesellschaften und der Selbstwirksamkeit“. Gerade auch in Kirchengemeinden ließen sich solche Räume schaffen. 

Das Konzept „Cradle to Cradle“ (Von der Wiege zur Wiege) setzt darauf, Rohstoffe möglichst lange und ohne Abfall zu nutzen, wie es Heidi Sprügel vorstellte.

Hermine Hitzler, Physikerin und Energieberaterin an der Bayerischen Architektenkammer in München, diskutierte intensiv die Möglichkeiten des ressourcensparenden Bauens. Sie warb darum, Gebäude umfassend zu nutzen, ressourcenschonend zu planen, aber auch nach ihrem „Lebenszyklus“ verantwortlich zurückzubauen. Dabei ging sie bis zu den „externalisierten Kosten“, die niemand hierzulande bezahlt. Das sind etwa Umweltschäden bei der Erzeugung von Rohstoffen in den meist armen Herstellerländern.  Schadstoffarme Planung ist da schon fast wieder selbstverständlich.

Das sind sicher alles Faktoren, die bei privaten Planungen wichtig sind. Aber auch beispielhaft bei den Renovierungen von Kirchengemeinden. So eine Sanierung ist natürlich teuer. Viele Kirchengemeinden können sie noch weniger als eine „normale“ Sanierung aus Eigenmitteln stemmen. Sie sind auf gesamtkirchliche Zuschüsse angewiesen, die energetischen Einsparungen aber kommen später dem Haushalt der Kirchengemeinde zugute. Dessen ist sich Wolfgang Schürger bewusst. Ein umfassendes Klimaschutzkonzept der bayerischen Landeskirche soll bis Ende des Jahres Ideen geben. 

Prädikantin Christina Mertens gab dann als Kirchliche Umweltberaterin weitere Impulse für den Alltag. Der verantwortliche Umgang mit Strom ist nicht neu. Doch es lohnt sich immer wieder, daran zu erinnern, auch den Standby abzuschalten, über weitere Einsparmöglichkeiten nachzudenken oder Strom gar selbst herzustellen. Was lässt sich wieder verwenden, reparieren oder tauschen? Die Münchner Passiongemeinde bietet Familien nachhaltige Gartenbewirtschaftung an, die auch nacheinander geleistet werden konnte.

„Was die Menschen in den Alltag mitnehmen können“, ist Wolfgang Schürger als Fazit wichtig. Über diese Impulse lohnt es sich, weiter nachzudenken.