Glück auf engstem Raum – ohne Isolierung

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Wohnbaracke der Familie Flaig in Gschlachtenbretzingen, einem Teilort von Michelbach/Bilz bei Schwäbisch Hall. Fotos: Happe
Wohnbaracke der Familie Flaig in Gschlachtenbretzingen, einem Teilort von Michelbach/Bilz bei Schwäbisch Hall. Fotos: Happe

Wohnungsnot und Behelfsheime in der Nachkriegszeit vor 75 Jahren

15 Menschen vor einer engen Hütte! Das historische Foto aus der Nachkriegszeit (rechts) zeigt aber zum Glück nicht alle Menschen, die in dem kleinen Behelfsheim lebten, sondern zwei Nachbarsfamilien. Selbst Steinach bei Rothenburg war nach 1945 „gestopft voll“. Schon viele Ausgebombte aus den Städten mussten bis Kriegsende auf das Land ausweichen. Und dann kamen rund zwei Millionen Flüchtlinge und Vertriebene nach Bayern – so die Bilanz nach dem Zweiten Weltkrieg, der vor 75 Jahren sein Ende fand.

Die Familie von Maria Kröger, geb. Zucker (*1939), gehörte zu ihnen. Sie kam 1947/48 über Umwege aus dem böhmischen Oberliebich nach Steinach. Die Bevölkerung in der Gemeinde Steinach war von 251 im Jahr 1939 auf 411 sieben Jahre später angestiegen. Die Familie Zucker gehörte mit zu den wenigen glücklichen Vertriebenen, die zu fünf Personen ein Behelfsheim bewohnten. Denn dort wohnten immer noch oft Ausgebombte.

Knapp genug bemessen waren ihre eigenen vier Wände. Bereits seit 1943 hatte noch das „Deutsche Wohnungshilfswerk“ auch in Franken den Aufbau normierter Behelfsheimen vorangetrieben. Markus Rodenberg vom Freilandmuseum Bad Windsheim ist der Geschichte der Behelfsheime in seiner Promotion intensiv nachgegangen. 2016 baute das Freilandmuseum ein Behelfsheim auf seinem Gelände auf. Es stammt zwar aus Ottenhofen, die Wohnverhältnisse sind aber vergleichbar. Das Häuschen ist weiterhin dort zu besichtigen, sobald das Freilandmuseum wieder öffnet.

Es lohnt sich durchaus, an diesem Jahrestag und in Zeiten, in denen Menschen so auf ihre Wohnungen und Häuser beschränkt sind, auch an die Situation vor 75 Jahren zu erinnern. Die standardisierten Behelfsheime, in denen auch die Familie Zucker in Steinach wohnte, hatte eine Fläche von 20 Quadratmetern. Schon zu Kriegszeiten konnten trotz der einfachen Bauweise nur rund zehn Prozent der benötigten Behelfsheime errichtet werden.

Einen Stromanschluss gab es in Steinach oft erst nach Jahren, fließend Wasser nie. Die Bewohnerinnen mussten ordentlich Wasser schleppen – eine der prägendsten Erinnerungen aus dieser Zeit. Sie sammelten auch Pilze, Kräuter und Obst. Für Wärme sorgte ein Ofen. Die Familie suchte für ihn Holz oder Tannenzapfen im Wald. Isolierung war ein Fremdwort. Im Winter bildete sich Frost an den Innenwänden, im Sommer war es unerträglich heiß. Von außen war ein Abort angebaut.

Lager blieben Jahrzehnte

Doch hatten die Zuckers besonderes Glück. Es gab viele Vertriebene, gerade Siebenbürger, in Steinach. In ganz Bayern trafen immer mehr Transporte mit Flüchtlingen und Vertriebenen ein. Zunächst kamen sie oft in eines der 1.375 Übergangslager. Doch wegen der Wohnungsnot mussten unzählige Menschen dort oft über Jahre bleiben.

Teils erst nach Jahren konnten die Familien in den Baracken Trennwände aus Holz anstelle von Vorhängen einziehen. Sanitäre Anbauten verbesserten langsam die hygienischen Verhältnisse. Erst Mitte 1963 konnte endlich das letzte bayerische Lager in Dürrenzimmern-Heuberg im Donau-Ries aufgelöst werden. Noch 1965 wohnten rund 60.000 Flüchtlinge in Barackenwohnungen.

Bei der herrschenden Wohnungsnot war es kaum möglich, die Neubürger nach ihren Herkunftsregionen oder der Konfession zu verteilen. So kamen viele protestantische Flüchtlinge in mehrheitlich katholische Gebiete – oder umgekehrt. Bei der Unterstützung für die Flüchtlinge und Vertriebenen kam der evangelischen Landeskirche eine große Rolle zu. In der Nachkriegszeit unterstützte die Neubürger das Evangelische Hilfswerk. Als Gottesdiensträume dienten zunächst entweder Baracken oder Kirchen der jeweils anderen Konfession, die sie mitbenutzen konnten. Die Zuckers etwa waren katholisch. Damals konnten sie aber alle vier Wochen in der evangelischen St. Maria-Kirche vor Ort eine Messe feiern.

Viele Bewohner eines Behelfsheims bemühten sich nach 1950 darum, ihre Unterkunft zu kaufen. Trotz der geringen Größe und der einfachen Wände waren sie heiß begehrt. Die Konkurrenz war da groß. Die Bewohner bauten ihre Heime spätestens ab den 1950er Jahren kontinuierlich aus.

Aus Schwäbisch Hall über die Grenze nach Hohenlohe bewohnte das Geschwisterpaar Flaig aus Bessarabien sogar bis 2010 eine ehemalige Baracke. Nach dem Hitler-Stalin-Pakt wurde ihre Familie um 1940 vom Schwarzen Meer nach Polen evakuiert. Und von dort nach 1945 Richtung Deutschland ausgewiesen. Schließlich kamen sie nach Schwäbisch Hall. Bis zuletzt gab es in der Baracke nur ein Plumpsklo und als einzige Waschmöglichkeit ein Becken in der Küche, so Michael Happe, Museumsleiter im Hohenloher Freilandmuseum. Das war natürlich ein Extremfall. Ihre Baracke soll demnächst dort ausgestellt werden.

Die Zuckers in Steinach erwarben in den 1950er Jahren ein Grundstück am Ortsrand, auf dem sie bauten. Das Behelfsheim nahmen sie als Schuppen mit. Maria, nun verheiratete Kröger, ist dem Dorf noch heute sehr verbunden. Sie lebt zwar bei Bad Reichenhall, doch ist sie noch häufiger zu Besuchen in Steinach. Die Einwohnerzahl der Gemeinde Steinach war 1961 wieder auf 302 zurückgegangen und sank weiter.

Viele Neubürger zogen so bald wie möglich in strukturstärkere Gebiete oder zu Verwandten. Es bildeten sich langsam Schwerpunkte heraus: Schon im Oktober 1946 waren die meisten Schlesier nach Oberfranken (42 Prozent aller Vertriebenen im Regierungsbezirk) und Niederbayern (37 Prozent) gelangt, ebenso sehr viele Ostpreußen. Dagegen zogen viele Sudetendeutsche nach Schwaben und Oberbayern.

Natürlich gab es erst einmal Distanz der Alteingesessenen zu den Neuen. Nicht alle gaben gern ab. In Steinach war ihr Verhältnis den Erinnerungen nach ziemlich entspannt. „Zwar hielt sich die Unterstützung in Grenzen, offene Konflikte bestanden aber nicht“, so Rodenberg. Die Kinder spielten miteinander. Maria Kröger denkt heute noch gerührt daran zurück, dass sie zu ihrer Kommunion von den benachbarten Bauern einen ganzen Kuchen erhielt.