Die Chance der Krise nutzen

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Wie Kreativität gerade in der Landwirtschaft hilft, die Corona-Krise zu bewältigen

Krisen sind ein unvermeidbarer Bestandteil unseres Lebens. Und trotzdem: Lebenskrisen reißen aus dem Alltagstrott und können einen aus der Bahn werfen. Eine Krise von ganz besonderem Ausmaß ist die Corona-Pandemie. Sie lähmt und schockiert derzeit die Menschheit weltweit. Doch was für den Verlauf individueller Krisen gilt, lässt sich auch in der Corona-Krise beobachten. Nach der Phase der Verleugnung und des Nicht-wahrhaben-wollens, nach dem Aufbrechen von Gefühlen wie Angst und Unsicherheit, Wut und Ärger beginnen viele Menschen kreative Ideen zu entwickeln. Und das ist gut so.


Aus der landwirtschaftlichen Familienberatung wissen wir, dass viele bäuerliche Familien auch schon vor der Corona-Krise mit belastenden Lebenssituationen konfrontiert waren. Die steigende Arbeitsbelastung, Unsicherheiten in der Betriebsentwicklung, finanzielle Sorgen, Konflikte in der Familie und Kritik aus der Gesellschaft sind enorme psychische Belastungen. Die Zahl der Burnout-Erkrankungen unter Landwirten hat in den letzten Jahren drastisch zugenommen. Mit der gegenwärtigen Krise verstärken sich die Sorgen und Ängste um die Gesundheit und um die Zukunft noch mehr.

Landwirte in der Krise

Da ist zum einen ein Milchbauer, der sich große Sorgen macht, weil er befürchtet, dass er künftig für seine Milch nicht mehr die Abnahme hat wie in der Vergangenheit und die er aber dringend braucht. Und natürlich überlegt er sich auch, wie sich der Milchpreis entwickeln wird. Dann ist da eine Familie aus dem Knoblauchsland. In deren kleineren Betrieb, kommen die Erntehelfer gar nicht an, die aus Osteuropa eingeflogen werden. Sie werden in Großbetrieben gebraucht. Die Familie ist tatsächlich auf freiwillige Erntehelfer angewiesen. Von einem Spargelbauer weiß ich, dass er jetzt, wo die Ernte vor der Tür steht, befürchtet, den Spargel nicht verkaufen zu können, weil ja die Gastwirtschaften – seine bisherigen Hauptabnehmer – geschlossen sind.

Auch wenn es angesichts der Corona-Krise schon beinahe sarkastisch klingen mag, in jeder Krise steckt auch eine Chance, nämlich die Chance, Entscheidungen zu treffen, Veränderungen herbeizuführen und das Leben neu auszurichten. Und da sind wir im Moment alle gefordert. Natürlich zuallererst die Politiker und Wissenschaftler, aber letztlich auch jede und jeder Einzelne. Die Sars CoV2-Pandemie zwingt uns Entscheidungen zu treffen und unser Leben neu auszurichten. Sie verlangt, die angeordneten Vorsichtsmaßnahmen und Hygieneregeln einzuhalten, und konfrontiert uns mit der Frage, wie wir mit der Krise umgehen und was wir dagegen unternehmen, um nicht in Panik und Hysterie zu verfallen.

Hilfestellungen

Aus langjähriger Erfahrung in der landwirtschaftlichen Familienberatung möchten wir ein paar hilfreiche Strategien aufzählen: Da könnte man positive Zukunftsvorstellungen entwickeln. Der Zukunftsforscher Matthias Horx rät dazu, sich gedanklich in die Zukunft zu begeben und von dort aus rückwärts zu überlegen, was sich alles zum Besseren entwickelt hat. Solche Vorstellungen, verbunden mit dem Gefühl der Dankbarkeit, verhelfen zu einer optimistischeren Lebenseinstellung. Sie wirken sich positiv auf unser Lebensumfeld aus und machen Mut.
Den richtigen Ton treffen. Die momentanen Ausgangsbeschränkungen führen dazu, dass wir mehr Zeit zu Hause, mehr Zeit mit der Familie verbringen. Das führt nicht selten zu Spannungen und Konflikten. Deswegen ist es jetzt besonders wichtig, hier achtsam mit sich selber umzugehen, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und zuzulassen. Eine gute Kommunikation miteinander ist jetzt noch wichtiger als sonst.

Emotionale Entlastungsmöglichkeiten schaffen. In dieser Ausnahmesituation ist es für viele eine Aufgabe, Nähe und Distanz in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Damit Spannungen und Konflikte nicht eskalieren, braucht es entsprechende Rückzugsmöglichkeiten für jeden einzelnen. Das dient der emotionalen Ausgeglichenheit.

Gemeinsame Zeiten bewusst gestalten. So wichtig die Rückzugsmöglichkeiten auf der einen Seite sind, so wichtig ist es andererseits, die gemeinsame Zeit bewusst zu gestalten. Und das kann nicht nur das gemeinsame Fernsehen sein. Gespräche, Spiele und kreative Tätigkeiten sind eine sinnvolle Alternative und bieten die Chance, das Miteinander in der Familie wieder neu zu beleben.

Familien mit kleineren Kindern sind jetzt besonders gefordert. Durch die schulfreie Zeit ist es eine zusätzliche Herausforderung, eine Tagesstruktur und klare Lern- und Freizeiten zu schaffen, und sie da, wo es sinnvoll und möglich ist, mit ein­zubinden. Kinder profitieren am meisten davon, wenn man ihnen einen guten Umgang mit der Krise vorlebt.

Spiritualität und Glauben leben. Vielen Menschen hilft besonders in Krisenzeiten das Gebet, für sich allein „im stillen Kämmerlein“ oder auch gemeinsam mit anderen. Auch wenn die Gottesdienste in der Kirche vor Ort derzeit nicht abgehalten werden können, gibt es viele Alternativangebote in Rundfunk, Medien und im Internet, wo man sich mit anderen Menschen verbunden fühlen kann. Informieren Sie sich, ob Ihre Gemeinde Angebote im Internet bietet.
Sich sinnvoll engagieren. Auch in der Krise gibt es die Möglichkeit, sich sinnvoll zu engagieren. Viele Menschen haben jetzt Zeit für Aufgaben, die sie für sich oder andere erledigen wollen. Da entsteht derzeit sehr viel Gutes! Die einen fangen an, angesichts der Versorgungsknappheit von Schutzkleidung selbst Schutzmasken zu nähen und zu verteilen.

Andere bewerben sich, um als ehrenamtliche Erntehelfer den Landwirten auf den Feldern zu helfen. Solidarität und Mitmenschlichkeit werden neu entdeckt. Wir lernen das Alltägliche wieder mehr zu schätzen und das Wesentliche wieder neu in den Blick zu nehmen. Das sind gute Ansätze. Wenn wir diesen Weg weitergehen, werden uns Kreativität und Solidarität sicherlich helfen, die Corona-Krise zu bewältigen.

In der landwirtschaftlichen Familienberatung möchten wir gerade auch jetzt für Menschen da sein, die Unterstützung benötigen. Das geht derzeit leider nicht persönlich, aber gerne telefonisch.

Walter Engeler, Pfarrer und Gestalttherapeut,

Leiter der Landwirtschaftlichen Familienberatung der ELKB, Hesselberg

Die Landwirtschaftliche Familienberatung der ELKB ist unter folgenden Nummern zu erreichen: 09854/1036 und 0160/90 66 43