Nicht von der Welt vergessen

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Rolf Bareis in der evangelischen Kirche in Tiflis. Foto: ELKG
Rolf Bareis in der evangelischen Kirche in Tiflis. Foto: ELKG

Evangelische Kirchen und Hilfswerke unterstützen Vertriebene in Armenien

Erst einmal kofferweise warme Kleidung übergab Rolf Bareis dem armenischen Botschafter in Georgien. Seit Anfang 2023 ist der Württemberger neuer Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Georgien und dem Südlichen Kaukasus (ELKG), nachdem er zuvor bereits dort „bischöflicher Visitator“ war. In den Bergen des Kaukasus schneit es schon seit Anfang Oktober. Bareis betreut von der georgischen Hauptstadt Tiflis aus neun Gemeinden in diesem Land, in Armenien und einige wenige Gläubige in Aserbaidschans Hauptstadt Baku. 

Winterkleidung, Reparaturen an den Häusern, Zuschüsse für Heizkosten – das seien die nötigsten Hilfen für die geflüchteten Armenier aus Berg-Karabach oder Arzach, wie die Region auf Armenisch heißt. Fast alle der rund 120.000 Einwohner haben ihre Heimat verlassen – nach der Hungerblockade und der Offensive Aserbaidschans gegen ihre Heimat. Sie sind meist in Armenien bei Verwandten oder einfach hilfreichen Seelen untergekommen – obwohl Armenien selbst nur knapp drei Millionen Einwohner zählt. 

Als Nachfolger des Bischofs Markus Schoch, mit dem das Sonntagsblatt in den vergangenen Jahren im Gespräch war, berichtete Bareis im Videogespräch aus dem Kaukasus: Viele der Vertriebenen mussten ihre Häuser innerhalb weniger Minuten verlassen. „Teils konnten sie nicht einmal ihre Papiere mitnehmen.“ 

Zumindest die letzten Mitglieder der kleinen evangelischen Gemeinde in Stepanakert in Berg-Karabach konnten sich noch von ihrer Kirche verabschieden. Dort trafen sich am Sonntag, 1. Oktober, 30 Gemeindemitglieder, um mit einem bewegenden Gottesdienst Abschied von ihrer Heimat und ihrem Gotteshaus zu feiern. „Es gab keinen Strom, keine Musik, viele weinten und beteten mit dem Vaterunser: „Dein Wille – Gott – geschehe. Der Glaube ist es, der Halt gibt“, schrieb der 20-jährige Gayane dem Gustav-Adolf-Werk. 

Und weiter: „Am Ende des Gottesdienstes umarmten wir uns lange und verabschiedeten uns von unserem Kirchengebäude.“ Sie schlossen es sorgfältig ab und nahmen den Schlüssel mit. Schließlich hatten sie es nach dem letzten Krieg von 2020 erst wieder mit Unterstützung aus dem Gustav-Adolf-Werk neu aufgebaut. Bereits damals verteilten sie Gaben des Diasporawerkes in ihrer Umgebung weiter.

Pfarrer Hovhannes Hovsepyan von der kleinen Evangelischen Armenischen Kirche in der Hauptstadt Eriwan schrieb dem Gustav Adolf Werk: „Wir haben bei uns in Armenien Notunterkünfte in unseren kirchlichen Gebäuden und im Sommerlager eingerichtet.“ Rund 300 Geflüchtete sind dort untergebracht und versorgt. „Wir bieten Nahrung, Kleidung und medizinische Hilfe. Wir haben auch warme Mahlzeiten auf den Straßen der Städte verteilt, in denen die Vertriebenen bei den Behörden registriert werden.“

Dazu ist Rolf Bareis in engem Kontakt mit ihm. Vernetzung ist dem Bischof sehr wichtig. Seine kleine Kirche kann die Hilfe bei weitem nicht selbst stemmen. Zu den Gemeinden, die Bareis betreut, gehören vor allem ältere und ärmere Menschen. Das Diakonische Werk vor Ort ist seit mehreren Jahren mehr als gefordert, ihnen Hilfe und Pflege zu geben – gerade, wenn sie allein zurückgeblieben sind.

Denn die wirtschaftliche Lage in Georgien ist ebenfalls wenig rosig. Zwar seien die Brotpreise stabil geblieben, so Rolf Bareis, doch ansonsten herrsche eine Inflation von 20 bis 30 Prozent. Gerade die Mieten in den Großstädten wie Tiflis steigen gerade ins Unermessliche. 

Schließlich sind seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges rund 300.000 Menschen aus Russland ins Land gekommen, da sie für Georgien kein Visum benötigen. Das können Oppositionelle sein oder Männer, die vor dem möglichen Kriegseinsatz in der Ukraine flüchten. Aber auch Geschäftsleute, die so Sanktionen umgehen. Sie können sich oft höhere Mieten leisten: Einheimische verlieren dann ihre Wohnung gerade im Zentrum, die viel teurer weiter vermietet werden.

Eingeengt von Konflikten

Auch in Armenien herrschten bislang ähnliche Probleme: Auch hier ist die Inflation hoch. Bis zu 80.000 Russen sind nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges dorthin gegangen, dazu mindestens 8.000 Geflüchtete aus der Ukraine. Syunik, die armenische Partnerorganisation von Brot für die Welt, unterstützte sie in den vergangenen Monaten. Nun hat sie ihre Hilfe für die Menschen aus Karzach ausgeweitet. 

Schon während des vergangenen Jahrzehnts suchten viele Menschen armenischer Herkunft aus Syrien Schutz im Kaukasus, die vor dem dortigen Bürgerkrieg flohen. Viele von ihnen sind bereits weitergezogen, zu armenischen Diasporagemeinden in der ganzen Welt – wie auch viele Armenier nach 1990.

„Denkt wenigstens an uns“, so eindrücklich beschreibt Rolf Bareis das Gefühl der Isolation der Armenier. Denn: „Sie stecken zwischen lauter Konflikten fest.“ Die Türkei und Aserbaidschan sind als moslemische Turkvölker feste Verbündete. Die einstige Schutzmacht Russland habe sich demonstrativ von ihnen abgewandt. Die Europäische Union ließ nach der Krise in Berg-Karabach verlauten, dass sie vorrangig an Gas aus Aserbaidschan interessiert sei, um die Verluste aus russischen Sanktionen wettzumachen. Zuvor schon setzte sie Armenien massiv unter Druck, die Verbindungen zu dem Verbündeten Iran zu lockern. 

Bis zum Redaktionsschluss ließ sich der armenische Premierminister Nikol Pashinyan nicht dazu hinreißen, auf die Vertreibungen militärisch zu reagieren. Und dies, obwohl ihn viele Demonstrierende in Eriwan vehement dazu aufforderten. Er ist der erste demokratisch gewählte Regierungschef in Armenien – und einer der wenigen in der Region. Bareis drückte seinen besonderen Respekt gegenüber dieser Haltung aus – „entgegen vieler Stimmen im eigenen Land und der Opposition, die Stolz, Ehre und Sterben für das Mutterland über das Leben stellen“. 

Neben der akuten Nothilfe hat auch Bareis mittelfristig ein ökumenisches Projekt mit Hilfsorganisationen sowie der Armenischen Kirche im Sinn, das allerdings wohl erst im nächsten Frühjahr verwirklicht werden könnte: In Gjumri könnten Geflüchtete ähnlich wie im Deutschland der Nachkriegszeit ein Stück Land bekommen, auf dem sich in Leichtbauweise eine Unterkunft bauen ließe.

Mehr Infos auch auf Deutsch auf der Seite der Georgischen Kirche unter https://elkg.org; Spendenkonto für die Armenienhilfe: Evang. Kirche und Diakonie in Georgien, IBAN: DE91 5206 0410 0000 4186 68, Ev. Bank Stuttgart, BIC: GENODEF1EK1

Spendenkonto des GAW Bayern: VR-Bank Mittelfranken West, IBAN: DE65 7656 0060 0000 0245 54, BIC: GENODEF1ANS. Mehr unter https://www.gustav-adolf-werk.de/