„Nie wieder“– Erinnerungen an eine schreckliche Zeit

432
Editorial von Martin Ben-Baier, Chefredakteur des Evangelischen Sonntagsblattes aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Chefredakteur Martin Bek-Baier

Das einzige Mal, dass meine Mutter von ihrem Vater eine Ohrfeige bekam, war 1945. Es war als einer dieser schrecklichen Todeszüge durch ihre Stadt kam. Ausgemergelte Gestalten in Sträflingskleidung aus einem Konzentrationslager, die von brutalen SS-
Wachen angetrieben wurden. Sie sollten auf dem Marsch sterben, so der Plan der SS. Als Bürgerinnen ihnen Wasser und Brot reichen wollten, wurden sie von den Wachen mit Waffen bedroht. „Ich war damals 13 Jahre alt und wusste es nicht besser. Wir hatten ja an der Schule einen hundertprozentigen Nazi als Lehrer und ich glaubte, was der Lehrer sagte“, erzählte sie mir. „Vater sagte, ,Die armen, armen Menschen.‘ Und da rutschte es mir raus: ,Die werden es schon verdient haben.‘ Da hat mir Vater die Ohrfeige gegeben. Später, als ich alles verstanden habe, habe ich mich für meine Aussage geschämt.“ Und ich merkte daran, wie Mutter es erzählte, dass es ihr, auch lange danach, noch Leid tat, so unbedarft gesprochen zu haben.

Mit solchen Geschichten bin ich groß geworden. Auch meine Großeltern haben mir schon von klein auf vom Krieg, und auch von den Verbrechen der Nazizeit erzählt. Immer kindgerecht, meinem jeweiligen Alter entsprechend. Ich kann mich auch gut daran erinnern, dass sie es mit einer großen Betroffenheit erzählten. Daran merkte ich schon früh, wie ernst das Thema ist. 

An der Schule war der Holocaust und die systematische Vernichtung der Juden, von Minderheiten und politischer Gegner durch die Nazis in den KZs immer wieder Thema. Das stand verpflichtend im bayerischen Lehrplan in den 1980er Jahren. In den oberen Klassen sprachen wir jedes Jahr im Unterricht über diese Zeit. Mindestens ein Besuch eines Konzentrationslagers in der Schulzeit, stand auf dem Programm. Wir waren also gut informiert, über die Schrecken der damaligen Zeit und das unsägliche Leid der verfolgten, gequälten und ermordeten Menschen.

Als in unsere Stadt in Oberbayern eine Wanderausstellung über Verfolgung und Widerstand im Dritten Reich kam, meldeten sich Mitschüler und ich aus der Oberstufe freiwillig als Helfer zum Aufbau und der Betreuung. Denn es kamen viele Schulklassen aus der ganzen Region, um diese Ausstellung zu besuchen. Zu denken gab mir der Ausspruch meiner Oma dazu: „Hoffentlich geschieht so etwas nie wieder!“