Was unterwegs zählt

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Editorial von Susanne Borée, Redakteurin und Chefin vom Dienst beim Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt von Susanne Borée

Überraschende Erlebnisse prägen sich besonders ein: Bei meiner mehrtägigen Fahrradtour winkte mich eine Frau aus dem strömenden Regen zu sich herein. Ich bekam warmen Tee und Kuchen angeboten. Mehr noch: Sie rief ihren Schwager mit einem Pferdeanhänger herbei. Meine Proteste nutzten nichts. Schließlich könnte ich bei dem Wetter unmöglich die nächste Bergkette erklimmen. Der Schwager brachte mich so samt Fahrrad und Gepäck in den übernächsten Ort – zum Sonnenschein.

Kein Berg ist unendlich hoch – schon gar nicht hierzulande! Auch diese Erfahrung verlässt unterwegs den engen Raum der Binsenwahrheiten. Mehr noch, schon vor dem Gipfel flacht die Steigung meist ab, geht sanfter in ihren Höhepunkt über. 

Solche Erfahrungen lassen sich immer wieder bei Überlandtouren mit dem Fahrrad machen – und ins „richtige“ Leben übertragen. Vielleicht sind sie banal, aber wenn sie sich immer wieder konkret erspüren lassen, gewinnen sie Leben.

Gleichzeitig machen sie begreifbar, wie sinnlos genaue Kilometerangaben sind, die ich heute mit dem Fahrrad überwunden habe: Geschah es mit Gegen- oder Rückenwind, mit welchen Steigungen oder Abfahrtsläufen, auf welchem Boden? Jeder Kilometer ist da völlig unterschiedlich. Elf Kilometer Abfahrtslauf sind eine Erholungspause. Der umgekehrte Weg wäre eine Herausforderung. An der Nordsee wiederum ist es sinnvoll, von West nach Ost zu fahren. Wer jeweils dort den Wind spürte, weiß warum.

Daher verweigere ich mich auch jeder App, die die Anzahl meiner Schritte oder Pedalumdrehungen zählen will. Wer es braucht, um sich für ein paar zusätzliche Bewegungen zu motivieren – meinetwegen. 

Aber für mich fallen viel mehr die Erlebnisse dahinter ins Gewicht. Unter Körpereinsatz unterwegs zu sein, das zählt. Egal, ob zu Fuß, mit dem Fahrrad, paddelnd oder rudernd. Egal, wie lang oder uneben die Strecke ist oder sie gerade der Kraftanstrengung gegen die Strömung bedarf. Und um die Ecke lädt dann plötzlich ein Hofladen mit Getränken zur Selbstbedienung auf Vertrauensbasis ein.

Sicher hat eine solche Tour dann auch viel von einer Pilgerreise. Heilige Orte können durch viele beeindruckende Begegnungen und Erinnerungen entstehen. Gleichzeitig gewinnt die Erfahrung Raum, dass es immer gut weitergeht.