Nicht nur das Sonntagsgesicht zeigen

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Editorial Inge Wollschläger im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

Der Frühstücktisch war reich gedeckt. Viele Menschen waren gekommen, um an diesem Vormittag in meiner Kirchengemeinde in netter Runde eine Buttersemmel zu essen und eine „schöne Tasse Kaffee“ zu trinken. Einmal im Monat lade ich dazu ein. Die meisten kennen sich nicht persönlich. Daher hatte ich Karten dabei, von denen jeder eine ziehen durfte. Auf jeder Karte stand eine Frage, die vorgelesen und beantwortet werden konnte. Damit alle gleich wussten, wie ich mir das vorstellte, begann ich. Und hatte gleich eine sehr persönliche Frage gezogen. „Wovor hast du Angst?“

Kurz überlegte ich, ob ich irgend eine allgemeine Antwort geben sollte. Wer spricht schon gerne über seine Ängste – und das in einer Runde, in der man sich nicht sehr vertraut ist. 

Doch ich entschied mich für Ehrlichkeit. Vielleicht nahmen das die anderen Teilnehmenden zum Anlass, ebenfalls mit aller Aufrichtigkeit zu antworten. Es waren jedenfalls sehr bewegende Momente dabei. 

Später bekam ich eine Mail, in der mir herzlich für die Offenheit gedankt wurde. Auch dem anderen Menschen würde es ähnlich gehen wie mir und es wäre ein Geschenk zu hören, dass man mit seinen eigenen Ängsten nicht alleine wäre – so stand es da. Es hat mich sehr gerührt. Meistens ist es ja so, dass wir den anderen nur unser „Sonntagsgesicht“ zeigen. Das ist sicherlich meistens auch berechtigt und vernünftig. In einem Gespräch, das jedoch nicht an der Oberflächlichkeit entlang plätschern soll, ist Offenheit der Schlüssel um in wirklichen Kontakt mit Menschen zu treten. 

Ehrlichkeit schafft eine Atmosphäre des Vertrauens. Wir geben  anderen die Möglichkeit, uns zu verstehen und zu wissen, woran sie bei uns sind. Wenn ein Mensch beginnt, über das, was wirklich wichtig ist zu reden, werden andere folgen und es ebenso machen. Und dann ist eine Verbundenheit untereinander zu spüren, die das Herz tief berührt. 

 „Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, jeder mit seinem Nächsten; denn wir sind untereinander Glieder“, steht es bei Epheser 4, 25. 

Sicherlich wird in den meisten Gruppen nicht gelogen – aber die Wahrheit wird eben auch oft verschwiegen. In sofern waren wir an diesem Morgen am Kaffeetisch „untereinander Glieder“. Und das war sehr schön.