Ökumenisches Abenteuer

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Geschichte der Sehnsucht nach der christlichen Einheit, Band I: Morgenröte der Ökumene
Geschichte der Sehnsucht nach der christlichen Einheit, Band I: Morgenröte der Ökumene. Foto: ÖRK

Schwergewichtiges Werk zu historischen Wurzeln des Wunsches nach christlicher Einheit

„Das war ein großes Abenteuer“, begeisterte sich Erzbischof Job von Telmessos. Der gebürtige Kanadier, mit bürgerlichem Namen Ihor Wladimir Getcha, war bis 2015 Erzbischof der orthodoxen Gemeinden russischer Tradition in Westeuropa. Seitdem ist er Vertreter des Ökumenischen Patriarchats beim Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf.

Schon diese Skizze lässt einen spannenden Lebensweg vermuten. Besonders packend war es für ihn aktuell aber, die Herausgabe des Werkes „A History of the Desire for Christian Unity: Vol 1: Dawn of Ecumenism“ (Geschichte der Sehnsucht nach der christlichen Einheit, Band I: Morgenröte der Ökumene) zu begleiten.

Eine internationale Online-Präsentation führte jetzt in diese Publikation ein. Professor Alberto Melloni als Direktor und Luca Ferracci als Herausgeber aus Bologna hatten das voluminöse Werk im Auftrag des Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK oder englische Abkürzung WCC) zusammengestellt. Dieser erste Band soll die Wurzeln der Ökumene ab dem 19. Jahrhundert nachzeichnen.

Auch neben Job von Telmessos war diese Präsentation, die zur Gebetswoche für die Einheit der Christen auf englisch und teils auf französisch stattfand, hochkarätig besetzt. In seiner Eröffnungsrede begrüßte der ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca von der Rumänisch-Orthodoxen Kirche das Projekt. „Wir müssen unsere Vergangenheit verstehen und kennen, um uns auf unsere Zukunft zu freuen, und dieser Band wird uns dabei helfen. Er erinnert an alle, die uns vorausgegangen sind, und an die Geschichte, auf der unsere Gegenwart und Zukunft aufgebaut ist“, erklärte er. Sauca brachte auch seine Freude darüber zum Ausdruck, dass der Band im Jahr der 11. Vollversammlung des ÖRK erscheint. Sie soll ab Ende August in Karlsruhe beginnen – so Corona will. Das ÖRK-Zentralkomitee trifft sich zur Vorbereitung im Februar online.

Neben den orthodoxen Vertretern führten genauso zwei weitere Repräsentanten anderer Konfessionen streng paritätisch in das Werk ein: Einmal der katholische Theologieprofessor Michael Quisinsky für Systematik aus Karlsruhe, obwohl die Katholische Kirche beim ÖRK nur Beoachterstatus hat. Nur etwa im deutschen Ableger, der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), arbeitet sie mit. 

Und die reformierte Praktische Theologin Elisabeth Parmentier aus Genf mit Wurzeln im Elsass erzählte Persönliches über die eigene Familiengeschichte in dieser Grenzregion.

Alle freuten sich, dass der erste Band jetzt präsentiert werden konnte – so die prägnante Zusammenfassung der Online-Präsentation. Sie war genauso wie das Buch ökumenisch sehr ausgewogen: 128 Autorinnen und Autoren wirken konfessionsübergreifend an diesem Projekt mit. Der letzte Band soll 2024 veröffentlicht sein. Im ersten Band sind 32 Aufsätze versammelt. Sie zeigen das Engagement von Einzelpersonen und Gruppen oder Versammlungen für die Ökumenische Bewegung – offenbar gerade auch aus orthodoxer und katholischer Perspektive. 

Was könnte Job von Telmessos mit dem „Abenteuer“ beim Erscheinen dieses Werkes gemeint haben? Gerade zwischen orthodoxen und protestantischen Kirchen beim ÖRK bietet der unterschiedliche Umgang mit der Frauenordination und der Homosexualität Diskussionspotential.

Beginn der Ökumene

Ihre Wurzeln hat die Ökumenische Bewegung ab Mitte des 19. Jahrhunderts bei protestantischen und anglikanischen Kirchen. Gerade Erweckungsbewegungen wollten eine gemeinsame Basis schaffen für gemeinsames Gebet und Begegnungen: Die heutige Allianzgebetswoche geht etwa darauf zurück. Ab 1844 gründete sich der Christliche Verein junger Menschen – damals noch „Männer“ – (CVJM). Der amerikanische Prediger und Jurist John Mott gab ihm nach der Jahrhunderwende mitreißenden Schub. 

Die Weltmissionskonferenz von Edinburgh 1910 gilt als Ausgangspunkt der ökumenischen Bewegung. Sie betonte noch die gemeinsame Mission in fernen Weltgegenden. Vor dem Ersten Weltkrieg bemühten sich englische und deutsche Pfarrer erfolglos um Verständigung. In der Zwischenkriegszeit 
erneuerte John Mott den CVJM und gab ihm festere internationale Strukturen. Der schwedische lutherische Erzbischof Nathan Söderblom organsierte 1925 die ökumenische Weltkirchenkonferenz in Stockholm. Söderblom und Mott erhielten 1930 und 1946 den Friedensnobelpreis. Dies änderte den Gang der Geschichte aber ebenso wenig wie die intensiven Kontakte zu Vertretern der Bekennenden Kirche in Deutschland, etwa zu Dietrich Bonhoeffer.

Nach 1945 war aber die Zeit reif für eine weitere Vollversammlung in Amsterdam 1948. Willem A. Visser’t Hooft, seit 1924 Sekretär beim Weltbund des CVJM in Genf, trieb die Gründung des Ökumenischen Rates voran, dessen Generalsekretär er dann bis 1966 war (vgl. seine Biographie von Jurjen Zeilstra: Weltweite und lebenslange Verantwortung).

1961 integrierte der ÖRK die Missionsarbeit, aber auch die orthodoxen Kirchen. Er vergrößerte sich von 147 auf 340 Kirchen. „Mit ihrer Aufmerksamkeit für das Mysterium trug die Orthodoxie dazu bei, die stärker aktivistische Seite des Ökumenschen Rates ins Gleichgewicht zu bringen“, heißt es diplomatisch in der Visser’t Hooft-Biographie Zeilstras.

Trotz aller Herausforderungen betont die „Morgenröte der Ökumene“, dass es bei dem Einigungsprozess darum geht „Schritt für Schritt zusammenzugehen, Vertrauen zueinander aufzubauen und Beziehungen auf dem gemeinsamen Weg zu vertiefen.“

Luca Ferracci (Hg.): A History of the Desire for Christian Unity, Band 1, 199 Euro, ISBN: 978-90-04-44669-4, Verlag Brill 2021, knapp 800 Seiten.

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