Hilfe beim Sterben – nicht zum Sterben

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Ralf Frisch (links) mit Reiner Anselm (rechts) bei der Hofer Diskussion über assistierten Suizid. Daniel Wagner (Mitte) moderierte.Foto: Bildschirmfoto

Suizidassistenz gehört nicht in ein reguläres Diakonie-Angebot, wohl aber Seelsorge

Darf ein assistierter Suizid für unheilbar kranke ältere Menschen in diakonischen Einrichtungen erfolgen? Auf Deutsch: Gibt es ein Recht auf einen selbstbestimmten Tod – das einschließt, dass andere dem unheilbar kranken Menschen ein Mittel besorgen, mit dem er oder sie schnell und schmerzlos entschläft?

Wie berichtet, hatten die Theologen Reiner Anselm, Isolde Karle und Ulrich Lilie zu Beginn des Jahres dazu eine innerkirchliche Debatte ausgelöst. Sie sprachen sich für die Möglichkeit zur Suizidassistenz in diakonischen Einrichtungen aus. Dies lehnt die Mehrheit in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ab. Die katholische Kirche ist noch ausdrücklicher dagegen.

Mitte Mai verteidigte Reiner Anselm als Ethik-Professor aus München und als Vorsitzender der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung, seine Position zur Selbstbestimmung der Menschen bei unheilbaren und schmerzhaften Krankheiten. Er führte eine online abrufbare Diskussion in Hof. Die Diakonie Hochfranken und das Dekanat Hof hatten sie organisiert. 

Sein Gegenüber, der Theologe und Kirchenrat Ralf Frisch, der an der Evangelischen Hochschule in Nürnberg lehrt, berief sich dagegen im Wesentlichen auf die christliche Barmherzigkeit. Sie sei darauf angelegt Trost zu spenden, aber nicht einen Menschen zum Tod zu begleiten. Er fragte auch nach den Grenzen der Selbstbestimmung: Müsse man nicht auch einem 19-Jährigen mit Liebeskummer beim Suizid helfen? Hingegen sei Leben ein Geschenk Gottes und somit dem menschlichen Zugriff entzogen.

Demgegenüber betonte Reiner Anselm seine Sorge vor einem „Vertrauensverlust der Kirche“, wenn sie sich gegen Freiheit und Selbst-bestimmungsrecht stemme. Und wenn sie versuche Menschen zu bevormunden: Da sie den Suizid lange zur Sünde erklärte, habe sie sich „Schuldgeschichten hingegeben“.

Eine Gefahr der Verstrickung in eine „unselige Schuldgeschichte“ sieht Ralf Frisch wiederum bei Mitarbeitenden in der Diakonie, die nun unter Umständen einen Suizid unterstützen – auch wenn die Sterbewilligen die letzte Handlung, die zum Tod führt, selbst vollziehen müssen. Das Festhalten an die Selbstbestimmung sei wenig tauglich für die „Grenzlagen des Lebens“. Menschen, die das Vaterunser beten, legten auch ihr Leben in Gottes Hand.

Reiner Anselm forderte dabei „Kriterien und Verfahren der Selbstbestimmung, damit sie verantwortlich geschieht“. Auch die Angehörigen gehören darin einbezogen. 

Gespräch anstatt Belehren 

Ende Mai passten Reiner Anselm und seine Mitautoren laut einer epd-Meldung ihre Forderung an: Der assistierte Suizid sollte nach ihrer Auffassung nicht zum „Regelangebot“ für alle in diakonischen Einrichtungen werden. Ihnen ist ein „Schutzkonzept“ wichtig. Eine mögliche Suizidassistenz soll sich nun ausschließlich auf die Situation schwerst- und sterbenskranker Menschen beziehen. Dazu seien „behutsame Beratung und Seelsorge“ in diakonischen Einrichtungen grundlegend, damit Menschen am Lebensende ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Sterben nicht verschweigen, sondern aussprechen und dadurch bearbeiten können. 

Aus christlicher Sicht gebe es zwar ein uneingeschränktes Recht, aber keine Pflicht zum Leben. Eine Person dürfe nicht gegen ihren ausdrücklichen Willen zum Weiterleben gezwungen werden, erklärten die drei Theologen. Sie wenden sich gegen „jede Form der Belehrung“ und „moralischer Überlegenheit“, mit der „sich ein suizidwilliger Mensch ernstgenommen fühlen und gegebenenfalls nochmals über seine Entscheidung nachdenken kann.“

Wie Beratung gestalten?

Insofern verlief eine weitere Online-Diskussion zu dem Thema, die die Stadtakademie Nürnberg Mitte Juni organisierte, deutlich entspannter. Hier stellte sich Anselm dem Präsidenten des Diakonischen Werkes Bayern, Michael Bammessel, und Dirk Münch als Vorsitzenden des Hospiz-Teams Nürnberg e.V.

Reiner Anselm stellt erneut seine These vom menschlichen Leben „als gestalteten Leben“ vor. Dies schließe auch die Möglichkeiten der modernen Medizin und des Sterbens mit ein. Die Grundlinien der christlichen Ethik seien ein Balanceakt im kirchlich-diakonischen Kontext. Allerdings wandte sich Anselm erneut gegen „klerikale Anmaßungsgestik“, wobei die Kirche den Willen Gottes zu vertreten meint.

Michael Bammessel war es wichtig, dass der diakonische Beistand beim Sterben nicht zu einem Beistand zum Sterben werde. Leben und Sterben geschähe immer in Beziehungen, in christlicher Hoffnung auch zu Gott und Jesus. „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn“, zitierte er auch Römer 14,7. Hingegen sehe 1. Korinther 6,19 den „Leib als Heiligtum“ und zeige somit größten Respekt vor dem Leben. Die Diakonie biete in allen Lebenslagen dem Menschen ein respektvolles Gegenüber voller Toleranz vor dessen Entscheidungen, aber dem Angebot zum offenen Gespräch. 

Dirk Münch gab zu, dass bei der Palliativ-Versorgung noch Luft nach oben sei. Nur bei etwa zehn Prozent der Sterbenden können sie helfen. In Corona-Zeiten fühlten sich so viele Menschen gar nicht mehr gefragt. Erschreckend sei, wie viele Menschen sich in der letzten Lebensphase als Last für andere begreifen. 

Wichtig war den Beteiligten an dieser Online-Runde eine fundierte Beratung vor einer möglichen Entscheidung zu einem Suizid. Da in dieser Legislaturperiode dieses Thema nicht mehr im Bundestag angegangen werde, gäbe es noch keine tragbaren Gesetzesvorlagen, erklärte Anselm. Da sei es auch schwierig, alle Einzelfälle zu klären. Er befürchtet, dass ein „Graubereich“ einfacher zu handhaben sei.

Im Gegensatz zu den weitaus häufigeren Beratungen von Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch sei es schwierig, hier eine flächendeckende Versorgung sicher zu stellen. Und: Vertrauen Menschen bei einer solchen Entscheidung über die letzten Dinge noch kirchlichen Repräsentanten?

 

Übertragung der gesamten Diskussion:

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