Hundert Tage nach dem Waffenstillstand in Berg-Karabach braucht Wiederaufbau Hilfe
Die Armenische Evangelische Gemeinde in Stepanakert baut Kirche und Kindergarten wieder auf. Die Gebäude in der Hauptstadt Nagorny Karabachs waren nach dem Beschuss im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan beschädigt.
Nach 44 Tagen war alles vorbei: Zwischen Ende September und Mitte November 2020 tobten die Kämpfe zwischen Armenien und Aserbaidschan um das Gebiet Nagorny Karabach (Berg-Karabach) oder Arzach – einem Gebiet gut halb so groß wie Unterfranken und etwas mehr Einwohnern als Würzburg. Viele Schäden lassen sich rund hundert Tage nach dem Waffenstillstand nicht einfach reparieren.
Während der Kampfhandlungen flohen rund 100.000 Menschen aus Nagorny Karabach nach Armenien. Etwa die Hälfte von ihnen kann und will nicht mehr zurückkehren, da ihre Wohngebiete nun unter aserbaidschanischer Kontrolle stehen.
Gustav-Adolf-Werk hilft beim Wiederaufbau
Der Wiederaufbau von Kirche und Kindergarten der Armenischen Evangelischen Kirche in Stepanakert ermöglichte das deutsche Gustav-Adolf-Werk (GAW) mit zunächst 5.000 Euro. So berichtet Enno Haaks, Generalsekretär des GAW. Die Gemeinde hat Dach und Fenster notdürftig gesichert. Sie benötigt jetzt Hilfe, um das Gebäude zu reparieren. Das GAW überwies weitere 15.000 Euro für die Grundausstattung des Gotteshauses. Vieles wurde im Krieg zerstört oder gestohlen.
Die einfache Gleichung: Christliches Armenien gegen muslimisches Aserbaidschan geht aber nur ungenügend auf. Denn der Konflikt wird auch durch komplexe Machtkämpfe in der Region befeuert.
Natürlich unterstützt die Türkei Aserbaidschan. Aber ausgerechnet die streng islamische, schiitische Theokratie Iran ist mit Armenien verbunden – ein Gegner der sunnitischen Turkvölker. Israel wiederum lieferte hochmoderne Kampfdrohnen an Aserbaidschan. So unterstützt es einen Gegner Irans. Die Türkei hat neben Waffen auch Söldner aus Syrien dort eingesetzt.
Russland hielt sich zunächst weitgehend aus dem Konflikt heraus, obwohl es ein Verbündeter Armeniens sein könnte. Erst im November setzte es den Waffenstillstand durch: Er bestätigte die Erfolge Aserbaidschans unter russischer Kontrolle.
Wie kam es zu dem Konflikt?
Im Osmanischen Reich gab es ja Ende des 19. Jahrhunderts und vor allem 1915 Massaker an den Armeniern. Das Sonntagsblatt setzte sich damals massiv für armenische Belange ein und sammelte Spenden, wie wir im April 2015 darstellten. Aserbaidschaner sind eng verwandt mit Türken. Doch eroberte das Zarenreich im 19. Jahrhundert den Südkaukasus. 1905/06 und 1918/19 gab es in armenischen und aserbaidschanischen Orten Massaker. Es starben Zehntausende aus beiden Völkern.
Nagorny Karabach schlug die junge Sowjetunion 1921 Aserbaidschan zu, obwohl dort meist Armenier leben. Seit der Perestroika-Zeit wollten viele Einwohner wieder zu Armenien gehören. Steigender Nationalismus führte zu Massakern auf beiden Seiten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion konnte sich die Region in dem Krieg bis 1994 mit armenischer Hilfe gegen Aserbaidschan behaupten und gar vergrößern.
Schon seit längerem engagiert sich auch „Brot für die Welt“ im Südkaukasus. Es laufen mit armenischen Partnern neun längerfristige Projekte mit einem Volumen von rund 4,5 Millionen Euro aus Spenden sowie kirchlichen und staatlichen Mitteln. Die Partner vor Ort unterstützen etwa kleinbäuerliche Betriebe. Dies erklärt Christopher Selbach, Referatsleiter für Europa und Zentralasien. Jetzt versorgen sie zudem Geflüchtete mit Decken und Hygieneartikeln, helfen ihnen in ein neues Leben zu finden und bieten Traumatisierten seelsorgerliche Betreuung. Bis vor wenigen Jahren unterstützte „Brot für die Welt“ auch Partner in Aserbaidschan. Doch aufgrund staatlicher Beschränkungen der Zivilgesellschaft ist dies nicht mehr möglich.
2020 nutzte Aserbaidschan, inzwischen durch Ölexporte zu Geld gekommen und hoch gerüstet, die Gunst der Stunde: Während die Welt mit dem Vorrücken der zweiten Corona-Welle beschäftigt war, konnte Aserbaidschan weit nach Nagorny Karabach vordringen.
Leiden der Menschen in Nagorny Karabach unter der Machtpolitik
Wie so oft leiden gerade die Menschen vor Ort unter der von Machtpolitik gesteuerten Gewalt. Es starben wohl bis zu 5.000 Soldaten und Zivilisten. Hunderte allein auf armenischer Seite sind noch vermisst. Noch bis weit in den Januar hinein, wurden immer wieder neue Leichen entdeckt, deren Identität oft nur noch per DNA-Analyse festgestellt werden kann. Bis zu 10.000 Menschen wurden oft schwer verletzt. Mehr als 200 armenische Kriegsgefangene werden noch in Aserbaidschan vermutet. Armenische Truppentransporte oder die Evakuierungen aus Kampfgebieten erfolgten oft dicht gedrängt in Bussen – zur Freude von Corona. Das schwache Gesundheitswesen ist durch die Pandemie in die Knie gegangen.
Seit Ende der Kämpfe sind bereits mehr als 3.000 Evakuierte allein nach Stepanakert zurückgekehrt, so der Pfarrer der Armenischen Evangelischen Gemeinde dort. Und weiter: „Die Stadt erwartet noch weitere Rückkehrer.“ Darunter auch Menschen, die aus Gebieten vertrieben wurden, die nun Aserbaidschan kontrolliert. Die Armenische Evangelische Kirche (ECA) hat 23 Gemeinden und laut eigener Aussage rund 1.500 Mitglieder. Stepanakert ist ihre einzige Gemeinde in Nagorny Karabach mit etwa hundert Gemeindemitgliedern. Durch die Kinder- und Jugendprogramme erreicht sie weit mehr Menschen als ihre Mitglieder. In Armenien hat sie rund 50 Flüchtlingsfamilien in einem Sommercamp untergebracht.
Hoffnungslosigkeit in Armenien
Durch den Ausgang des Krieges geriet Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan unter Druck. Er war 2018 gegen autoritäre Strukturen und Korruption angetreten. Enno Haaks sieht dennoch weiterhin viel Korruption im Kaukasus, was zur Hoffnungslosigkeit beiträgt.
Viele Menschen sehen nun in Russland bessere Perspektiven für sich und ihre Familien. Nachdem Russland die Grenzen zu Armenien am 1. Februar wieder öffnete, verließen gleich rund 3.000 Menschen das Land, so Selbach. Immer noch würden täglich drei volle Flieger aus Armenien starten, so Haaks. Wer irgendwie noch Mittel hat, will nach Russland – oder am besten weiter.
Auch die Bayreuther Regionalbischöfin Dorothea Greiner bittet um Spenden angesichts der Not der heimatlosen armenischen Bevölkerung, die nicht mehr zurück kann.
„Wegschauen kann man nicht“, ergänzt Enno Haaks. „Wo die Not so groß ist, wollen wir Hoffnung geben.“
=> Mehr zum Leben Evangelischer Gemeinden in der Kaukasus-Region
Spendenkonto des GAW: VR-Bank Mittelfranken West, IBAN: DE65 7656 0060 0000 0245 54, BIC: GENODEF1ANS, Stichwort: Bergkarabach.
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Von Brot für die Welt, IBAN: DE10 100610060500500500, BIC: GENODED1KDB, Bank für Kirche und Diakonie