Menschen, keine Monster

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zur Verschonung Sauls durch David

Und Saul nahm dreitausend auserlesene Männer aus ganz Israel und zog hin, David samt seinen Männern zu suchen bei den Steinbockfelsen. Dort war eine Höhle, und Saul ging hinein, um seine Füße zu decken. David aber und seine Männer saßen hinten in der Höhle. Da sprachen die Männer Davids zu ihm: Siehe, das ist der Tag, von dem der Herr zu dir gesagt hat: Siehe, ich will deinen Feind in deine Hand geben, dass du mit ihm tust, was dir gefällt. Und David stand auf und schnitt leise einen Zipfel vom Rock Sauls. Aber danach schlug ihm sein Herz, dass er den Zipfel vom Rock Sauls abgeschnitten hatte, und er sprach zu seinen Männern: Das lasse der Herr ferne von mir sein, dass ich das tun sollte und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des Herrn. Als aber Saul sich aufmachte aus der Höhle und seines Weges ging, machte sich danach auch David auf und ging aus der Höhle und rief Saul nach und sprach: Mein Herr und König! Saul sah sich um. Und David neigte sein Antlitz zur Erde und fiel nieder. Und David sprach zu Saul: Warum hörst du auf das Reden der Menschen, die da sagen: David sucht dein Unglück? Siehe, heute haben deine Augen gesehen, dass dich der Herr heute in meine Hand gegeben hat in der Höhle, und man hat mir gesagt, dass ich dich töten sollte. Aber ich habe dich verschont. Und Saul erhob seine Stimme und weinte und sprach zu David: Du bist gerechter als ich, du hast mir Gutes erwiesen; ich aber habe dir Böses erwiesen.

Aus 1. Samuel 24, 1–20

Meine vierjährige Tochter liebt es sich in einer Höhle aus Decken zu verstecken. Und ich bin ein gruseliges Monster, das sie suchen muss. Das ist für meine Tochter so aufregend, dass sie meist kreischt bevor ich sie finde. Sie lacht, sie schreit, sie gruselt sich, sie fühlt sich unbesiegbar und hilflos – alles zugleich.

Ging es David auch so als er in der Höhle saß und plötzlich vor seinem „Monster“ Saul stand? Ganz unverhofft. Saul ist in der Nähe und sucht ein stilles Örtchen. Und steht seinem „Monster“ David gegenüber. Saul ist zur falschen Zeit am falschen Ort. Für David ist das die Chance. Aber David „schlug sein Herz“. Er lässt sich berühren von Saul. Er lässt sich nicht von den Stimmen im Hintergrund beeinflussen, die rufen: Greif ihn doch endlich. David könnte ein Monster sein – denn Menschen können Monster sein. Er ist es aber nicht. Saul berührt das, er weint und lässt David ziehen. 

Menschen können Monster sein. Menschen in Zeitungen, in Parlamenten, in der Kirche, in Familien, am Gartenzaun. Menschen können drohen, gruseln und erschrecken. Sie sehen nur sich. Da ist keine Empathie, keine Gnade vor dem Recht.

David ist es gelungen, das zu durchbrechen. Weil sein Herz schlägt, weil er aushalten kann, dass es Wege nebeneinander gibt. Und weil er akzeptiert: du und ich – wir sind von Gott Gesalbte – keine Monster. Was für eine Gnade!

Meine Tochter hat eine gute Idee, wenn ihr das Monsterspielen zu viel wird: Sie lädt mich ein in die Höhle und sagt: Zusammen verstecken ist schöner, als Monster spielen.

Claudia Buchner, Pfarrerin in Ruhpolding