Wo ist der Himmel?

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Entdecken des Neuen Himmels

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und tut sichere Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird. Denn ihr seid nicht zu etwas gekommen, das man anrühren konnte und das mit Feuer brannte, nicht zu Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter. Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zur Festversammlung und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus.

aus Hebräer 12, 12–18.22–25a 

Der Hebräerbrief lenkt den Blick weg von der Alltags-Lethargie auf den Himmel. Smarter Schachzug! Wenn’s gerade schwierig ist, dann spielen wir die Karte „Himmelsvertröstung“: Hier auf Erden müde Hände und wacklige Knie. Aber dann im Himmel, im Leben nach dem Tod, da wird alles besser. 

Sicher ist der Himmel für manche Menschen in schwierigen Zeiten ein Hoffnungsschimmer. Diese Perspektive macht das Leben hier aber auch bedeutungslos. Es ist nicht mehr wichtig, was in dieser Welt Schönes und Schlimmes passiert: Hauptsache, es ist schnell vorbei und das ewige Leben im Himmel kann beginnen. Viele Menschen überzeugt diese Hoffnung heute aber auch nicht mehr. Der Abstand zwischen Erde und Himmel für sie ist zu groß geworden, der Himmel zu weit weg. Und der Glaube daran zu einer simplen Vertröstung.

In unserem Bibeltext ist der Himmel aber mehr als ein ferner Sehnsuchtsort: Seine Verbindung zum Himmel hat für den Schreiber des Textes Konsequenzen für sein Leben hier und heute. Er weiß: Ein Ort Gottes, der bebt, blitzt und Feuer spuckt, wäre für viele eindrücklicher.

Exakt so real ist für ihn aber der Himmel. „Ihr seid gekommen … zum himmlischen Jerusalem“ heißt: Wir sind schon da. Oder vielmehr: Das himmlische Jerusalem ist schon da. Klingt so ähnlich wie Jesus‘ Satz „das Himmelreich ist nahe herbeigekommen“ oder auch „mitten unter euch“. 

Wie der Autor darauf kommt? Kurz vorher schreibt er seinen Schlüssel-Satz: „Es ist aber der Glaube, eine feste Zuversicht auf das, was man hofft; ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Die großen Heiligen der Geschichte waren immer Menschen, die einen Blick für den Himmel in der Gegenwart hatten. Es gab für sie nicht nur vier Himmelsrichtungen, sondern auch eine fünfte: Ein Gespür dafür, wie nahe Gott in dieser Welt ist. 

Himmel war für sie nicht bloß ein Ort für ein Leben nach dem Tod. Himmel war der Name für die Dimension, in der Gott wohnt. Eine Realität, die sich wie eine eigene Achse durch unser Leben zieht. So, dass wir nicht besonders laut rufen müssen, wenn wir beten: „Vater unser im Himmel…“ – denn dieser Vater hört uns zwar im Himmel, aber der Himmel ist uns näher als wir uns selbst. Meine müden Hände und wankenden Knie brauchen manchmal erst eine Erholung. 

Aber dann brauchen sie auch eine Perspektive. Ein Vertrauen darauf, dass die Kraft des Himmels hinter mir steht. Und mir unter die Arme greift bei dem großen Projekt, dass diese Welt ein anderer Ort wird. Ein Ort, an dem „dein Wille geschehe – wie im Himmel, so auch auf Erden.“ 

Pfarrer Daniel Steigerwald, München