Bleibt uns nur Frau Unglück?

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Inge Wollschläger Editorial Hintergrundbild Kraus

Editorial von Inge Wollschläger im evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern zum Totengedenken

Neulich wollte ich mich mit einer Bekannten treffen, da wir etwas zu besprechen hatten. „Ich habe keine Zeit“, sagte sie. „Ich muss die Gräber winterfest machen!“ So trafen wir uns auf dem Friedhof und verbanden das Nützliche mit dem Notwendigen. Während wir kleine Ästchen und Blätter von mehreren Gräbern fegten und Unkraut zupften, besprachen wir unsere Dinge. 

Ich hätte mir keinen besseren Ort für unserer Zusammenkunft vorstellen können. Zu jedem Grab bekam ich eine kleine Kurzfassung der Lebensgeschichte des verstorbenen Menschen erzählt. Kleine Anekdoten wechselten sich mit Krankheitsgeschichten und anderen Besonderheiten ab.

Die Bekannte geht jeden Tag auf den Friedhof und schaut nach „ihren Leuten“. An die zehn Grabstellen dürften es sein, die sie nach einem genauen Plan besucht. Wäre ich heute nicht dabei, würde sie mit den Verstorbenen ein wenig plaudern, erzählt sie mir. 

Es ist schön, über den Tod hinaus Teil eines Lebens zu sein. Im Herzen meiner Bekannten ist man nicht weg – nur woanders. Der Kontakt bleibt bestehen. Zwischendurch seufzt meine Bekannte und wischt sich über die Augen. 

Als alle Gräber unter ihrem wachen Auge „wieder hübsch“ sind und wir uns auf dem Rückweg sind, grinst sie mich an und sagt: „Ich hab da noch was für dich. Das könnte dir gefallen!“ Kurz vor dem Ausgang zeigt sie mir eine Grabplatte, auf der ein Gedicht steht. Doch keine frommen Worte wie auf den vielen anderen: Hier ist zu lesen: „Das Glück ist eine leichte Dirne, / sie bleibt nicht gern an einem Ort. / Sie streicht das Haar dir aus der Stirne / und küsst dich rasch und flattert fort. / Frau Unglück hat im Gegenteile / dich liebevoll ans Herz gedrückt. / Sie sagt, sie habe keine Eile, / setzt sich ans Bett und strickt.“

Wir kichern ein wenig und fragen uns, wer wohl diesen Grabsteinspruch ausgesucht haben mag und warum. Trauer hat viele Gesichter. Hier auf dem Friedhof finden wir sie alle und alles darf friedlich nebeneinander sein.

Irgendwann werden wir selbst gestorben sein. Vielleicht werden auch wir von unseren Lieben besucht werden und man hält Zwiesprache mit uns. Das mag für viele – und auch für mich – ein tröstlicher Gedanke sein. Letztlich ist es nur unser Körper, der in einen Friedhof gebettet ist. Unserer Seele ist frei und unsterblich und der Tod hat keine Macht mehr.