„Ich darf Fehler machen!“

510
Inge Wollschläger Editorial Hintergrundbild Kraus

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

Ich habe etwas Neues begonnen – eine Art aufwendiges Hobby. Es macht mir sehr viel Freude und es gestaltete sich nicht ganz so einfach, wie ich dachte. Oder wie meine Oma immer sagte: Aller Anfang ist schwer. Bei denjenigen, die darin die Profis sind, sieht es leicht und locker aus. Bei mir selbst ist es noch zäh. Es ist mein eigener Anspruch, der mir da im Wege steht. Verbunden mit einer vagen Angst vor Fehlern.

Ich wandere also in meinem Fall auf einem für mich schmalen Grat zwischen möglichem Versagen und einem „Och. Ist doch schon ganz gut“. Das Ziel – die Meisterschaft in diesem Gebiet zu erreichen – ist noch wie eine Möhre am Stöckchen vor einem Esel. Es dauert noch ein bisschen. 

Bis mir eines Tages einfiel: „Meine Güte. Ich bin Anfängerin. Ich darf Fehler machen. Keiner außer mir selbst erwartet Perfektion!“ 

Das Problem ist die Fehlerkultur in unserem Land. Fehler sollen und dürfen nicht passieren. Wenn doch etwas passiert, dann ist die nächste Frage: Wie konnte das passieren! 

Noch gravierender ist es, wenn der Fehler von öffentlichem Interesse ist – und nicht wie bei meinem Hobby – wenig Menschen interessiert. Eine Politikerin, die Urlaub machte, während Menschen ihr Hab und Gut bei einer Flutkatastrophe verloren. 

Ein YouTube-Star, der Menschen mangelhaft verarbeitete Masken verkauft und sich gleichzeitig für seine soziale Ader in den Medien feiern lässt. Die Liste ist lang derjenigen, die einen „richtig Bock geschossen“ haben. 

Tatsächlich wissen wir oft selbst nicht, wie wir mit solchen Menschen und deren Taten umgehen sollten. Und wir wissen meistens noch viel weniger, wie wir deren persönliche Aufarbeitung oder Reue einordnen können. Ist das „echt“ oder nur „Show“? Strafe scheint das Wichtigste zu sein – wenn man Zeitungen oder dem Internet glauben möchte. Und dann? Gnade oder gar Milde scheint in unserer Zeit nur schwer zu finden. „Gehe hin und sündige nicht mehr.“ Diesen Satz sagte Jesus zu der Frau, die ihren Mann betrogen hat. In unserer Gesellschaft scheint das gänzlich aus der Mode gekommen zu sein. 

Vielleicht ist ein Anfang – noch bevor ich lerne, anderen zu vergeben und mögliche Fehler „einkalkuliere“ – mir selbst zu erlauben, dass ich auch scheitern kann und Fehler machen darf?