Wer die Autorität in letzten Dingen hat

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Daniel Schönwald (links) vom Landeskirchlichen Archiv und Daniel Burger vom Staatsarchiv Nürnberg führen in die Ausstellung ein. Hinter ihnen der Konflikt um die absolutistische Einmischung in Glaubensfragen. Foto: Borée
Daniel Schönwald (links) vom Landeskirchlichen Archiv und Daniel Burger vom Staatsarchiv Nürnberg führen in die Ausstellung ein. Hinter ihnen der Konflikt um die absolutistische Einmischung in Glaubensfragen. Foto: Borée

Ausstellung über „Kirche und Staat in Mittelfranken“ im Landeskirchlichen Archiv

Durfte ein Landesherr mal eben so den Beichtvater wechseln? Die Frage erscheint uns heute in mehrfacher Hinsicht bizarr: Natürlich, wohl jeder darf es, wenn ein Vertrauensverhältnis zerrüttet ist – so die intuitive Reaktion, die wohl heute mehrheitsfähig wäre. Niemand! So die kirchliche Forderung im Markgraftum Ansbach vor 200 Jahren.

In der aktuellen Ausstellung des Landeskirchlichen Archivs der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zusammen mit dem Staatsarchiv Nürnberg nimmt dieser längst vergangene Streit fast eine Vitrine ein.

Moment mal! Dabei waren Beichtvater und Markgraf wohl auch gut evangelisch! Auch das erscheint uns heute eher ein wenig seltsam – doch ist es gut lutherisch. Die Reformatoren hatten nichts dagegen, wenn es auch für sie kein Sakrament mehr war. Erst allmählich geriet das Beichtgespräch in den Hintergrund.

Um diese Art der Seelsorge stritten sich auch der Ansbacher Markgraf Wilhelm Friedrich und sein Generalsuperintendent Christoph Christian Händel gar nicht: Es stand zur Diskussion, wer die höchste Autorität in Glaubensdingen hatte: der Landesherr oder sein Theologe?

Lautstark und öffentlich führten sie diesen Streit. Händel blieb schließlich nur die Flucht. Besonders tragisch verlief für ihn eine Hausdurchsuchung durch Ansbacher Soldaten im Jahr 1711, nach der seine Frau starb. Der Witwer gab dafür dem Markgrafen die Schuld.

Mit Druckschriften und Pamphleten griffen sie sich weiter gegenseitig an, untermauert von Gutachten Theologischer Fakultäten. 1714 passierte Händel markgräfliches Territorium – er wurde erkannt und gefangengesetzt. Nach fünfjähriger Untersuchungshaft verurteilte ihn ein Gericht zum Tode. Nach einem Gutachten der Universität Jena  wurde er zu lebenslänglicher Festungshaft auf der Wülzburg ‚begnadigt‘, die er dann noch weitere 15 Jahre bis zu seinem Tode verbüßte.

Die Ausstellung zeigt an vielen weiteren ausgewählten Einzelstücke das Verhältnis zwischen Kirche und Staat im heutigen Mittelfranken von der Reformation bis heute.  

Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt des Landeskirchlichen Archivs und des Staatsarchivs Nürnberg. Während der Sanierung und Erweiterung der Staatsarchivgebäude in Nürnberg mussten 40 Kilometer an Archivalien weichen. Fünf Kilometer davon, gerade die älteren Bestände aus der Zeit vor 1800, fanden nun Unterschlupf im Landeskirchlichen Archiv, berichten Daniel Schönwald als kommissarischer Leiter der kirchlichen Institution und sein Kollege Daniel Burger vom Nürnberger Staatsarchiv. Für die Schau haben sie bewusst Exponate ausgewählt, „an denen möglichst konkret Fragestellungen damaliger Menschen erzählt werden können“, erklären beide.

Diese Archivalien, die in Nürnberg bleiben konnten, lassen sich im Lesesaal an der Veilhofstraße einsehen. Und nun fand eine besonders aussagekräftige Auswahl von ihnen Eingang in eine gemeinsame Ausstellung. Andere Archivalien gingen bis nach Augsburg oder Landshut.

Die Ausstellung zeigt jedoch längst nicht nur Konflikte zwischen Kirche und Staat, sondern auch ihre Nähe: Kirchenordnungen etwa regelten die christliche Lebensgestaltung in den Territorien der Reformation. Reformatorische und staatliche Interessen befanden sich im Einklang bei der Ansiedlung von Glaubensflüchtlingen in verschiedenen mittelfränkischen Territorien: Hugenotten in Schwabach, Salzburger Exulanten oder Berchtsgardener in Altdorf. Die bekanntere Ansiedlung der Hugenotten in Erlangen konnte die Ausstellung nicht berücksichtigen, so Daniel Burger, da sich die dortigen Dokumente aufgrund der historischen Zuteilung der Archivalien in Bamberg befinden. 

Auch an den drei mittelfränkischen Beispielen zeigt sich: Die Aufnahme der Neubürger geschah nicht nur aus konfessioneller Anteilnahme, sondern brachte wieder Fachkräfte in Gebiete, die seit dem Dreißigjährigen Krieg nur noch schwach besiedelt waren. Nun war neuer wirtschaftlicher Elan spürbar.

Pfarrer führten Impflisten

Die Nähe zwischen beiden Kräften zeigt sich ebenso beim Bau zahlreicher Kirchen im Markgraftum Brandenburg-Ansbach, die heutigen Markgrafenkirchen. Ein Verzeichnis von 1775 listet alle Kirchen sowie die Pfarr- und Schulhäuser an 204 im Markgrafentum auf – eine heute unschätzbar wertvolle Quelle.

Konflikte zwischen Staat und Kirche traten nicht nur im Absolutismus auf, sondern auch beim Übergang fränkischer Territorien zum Königreich Bayern nach 1806. Der zentrale Staat des Ministers Montgelas regelte zahllose Einzelheiten im Alltag der Kirche, wie zum Beispiel den Inhalt und den Druck von Gesangsbüchern. 

Pfarrer waren nun Staatsdiener. Sie führten gar Listen, welche Schäfchen sich gegen Pocken impfen ließen und beaufsichtigten die Schulen oder die Armenfürsorge. Pfarr-
ämter und Dekanate hatten nun das Bayrische Wappen im Siegel.

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Abdankung des Königs war dann eine grundlegende Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sowie eine neue Verfassung der Landeskirche nötig. Das ging zuerst nur langsam vonstatten.

Schon 1930 weihte aber der Ruhestandpfarrer Martin Weigel eine Fahne der NSDAP-Ortsgruppe in Lauf an der Pegnitz. Der Landeskirchenrat protestierte im Nachhinein Doch konnte er gegen den Pfarrer nicht disziplinarisch tätig werden, da er nicht im aktiven Dienst war. 

In der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur sind aber auch Gefängnisstrafen gegen Pfarrer wegen kritischer Äußerungen dokumentiert. So etwa gedachte Pfarrer Waldemar Schmidt Ende 1937 derer, „die im Gefängnis sitzen müssen, weil sie ihrer Gemeinde das Wort Gottes gesagt haben“ wie Martin Niemöller. Auch Schmidt wurde dafür zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt mit anschließender Meldung zum Wehrdienst. Und dies, obwohl das Landeskirchenamt in München für ihn eintrat. Er überlebte den Krieg nur knapp.

Nach dem Krieg setzten sich Kirchenvertreter für Flüchtlinge und Notleidende ein. Andere Pfarrer stellten umstrittene „Persilscheine“ zu Entnazifierung auch ehemaliger Parteigenossen aus. 

Wieder neu warfen die Friedensgebete in den 1980er Jahren und das Kirchenasyl für Flüchtlinge die Frage auf, wer die höchste Autorität beim Glauben und in ethischen Herausforderungen hat.

Ausstellung bis 15. Juli kostenfrei während der Öffnungszeiten des Landeskirchlichen Archivs: Montags bis mittwochs von 9 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr und freitags bis 13 Uhr