In Erwartung himmlischer Klänge

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Breslauer St. Elisabethkirche und die Rekonstruktion der Orgel.
Die Breslauer St.-Elisabeth-Kirche überlebte die Zerstörungen im Krieg, brannte aber 1976 ab. Nun erstrahlt sie wieder in neuem Glanz (links). Orgelexperte Andrzej Kriese erklärt vor dem Spieltisch die Rekonstruktion der Orgel, die den neuen Kirchenbau vollendet. Fotos: Borée

Orgel in der Breslauer St.-Elisabethkirche kurz vor ihrer erneuten Vollendung

„Merkwürdig fest“ stand die Breslauer St. Elisabethkirche im Frühjahr 1945 inmitten einer total zerstörten Innenstadt. So beschreibt es der damalige evangelische Stadtdekan in Breslau, Joachim Konrad-Bonn. Seine Darstellung druckte die „Schlesische Heimatzeitung“ erst in diesem Herbst ab.

Weiter beschreibt der Stadtdekan: „Eine Zehn-Zentner-Bombe schlug durch das Dach, riss ein paar Prospektpfeifen der Orgel und das friderizianische Wappen am Königs-chor herunter und blieb als Blindgänger vor der Kanzel liegen.“ Und er fährt fort: „Wäre die Bombe, die dann sofort herausgeschafft wurde, explodiert, hätte das eine Totalzerstörung bedeutet.“ Doch so trat er bereits am Sonntag, 13. Mai 1945, wieder zum Altar: „Eine erst noch kleine Schar wagte sich wieder aus den Kellern und nahm an diesem Gottesdienst teil.“

Der Stadtdekan konnte nicht wissen, dass die Kirche 30 Jahre später nicht länger standhielt: 1962 und 1975 zerstörten Blitzeinschläge den Turmhelm der Kirche. Durch einen Brand am 9. Juni 1976 wurden große Teile der Inneneinrichtung der Kirche zerstört, darunter die Engler-Orgel, die Dachstühle und das gotische Kreuzrippengewölbe. 

Bei der Sanierung erforschte man die Fundamentreste des alten romanischen Gotteshauses, auf denen die hoch aufstrebenden gotischen Mauern ab der Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden. Der rekonstruierte Kirchturm soll 91,5 Meter hoch sein. St. Elisabeth war die städtische Kirche der Patrizier, die mit ihrem Bau die Kathedrale auf der Dominsel in den Schatten stellen wollten. Und die nahe Magdalenenkirche.

Orgel erklingt bald wieder

Nicht ganz so hoch, aber schon in fast schwindelerregender Höhe vom Fußboden ragen derzeit noch die Gerüste an der Orgel von St. Elisabeth auf. Ihre Rekonstruktion liegt gerade in den allerletzten Zügen. Ende Januar 2022 soll sie wieder erklingen – und zwar in dem Zustand von 1750, erklärt der Orgelexperte Andrzej Kriese vor Ort.   

An „himmlische Klänge“ dieser Orgel erinnern sich noch alte Breslauer. Es mache sie so glücklich, dass nun keine leere Stelle mehr an der Westempore bleibe, sondern das Instrument wieder erklingen werde.

Vor 270 Jahren errichtete Michael Engler der Jüngere anstelle einiger Vorgängerbauten – die bis in die Zeit um 1460 zurückgehen, aber schon bald als „verterbet“ bezeichnet wurden – ein neues barockes Instrument. Auch dieses wurde in den kommenden zwei Jahrhunderten mehrfach repariert, erweitert und elektrifiziert – zuletzt ausgerechnet noch in den ersten Jahren des Zweiten Weltkrieges. Dafür fotografierte man damals viele Details der Orgel und ihren Figurenschmuck, so Kriese. Von diesen Bildern lässt sich jetzt bei der Rekon-struktion ausgehen. Daneben existieren noch zwei weitere Engler-
Orgeln, die in Grüssau nahezu vollständig und im tschechischen Olmütz teilweise erhalten sind.

Details des aktuellen Wiederaufbaus erklärt Andrzej Kriese zunächst noch am sicheren Erdboden vor einem Modell der Orgel. Es zeigt im Maßstab 1:10 ihre Details – von den Orgelpfeifen bis hin zu dem barocken Figurenschmuck. 

Pfeifen und Figuren

Kriese arbeitet für den Bonner Orgelbauer Klais. Die Firma kümmert sich um die Trakturen und Spieltische, um die Windanlage und das Pfeifenwerk und intoniert dann das Instrument. Zwölf Meter hoch sind die größten Pfeifen, führt Kriese weiter aus, während er schon oben auf dem Gerüst balanciert. Hoch ragen sie selbst von dort empor. Sechs Millimeter messen die kleinsten. Sie seien unhörbar, aber dennoch für die Grundstimmung wichtig. 

Mehrsprachig geht es in luftiger Höhe zu. Andrzej Kriese muss mal eben übersetzen. Er stammt aus der Umgebung Breslaus, arbeitete aber bereits am Stammsitz der Firma in Bonn. Nun muss gerade eine Orgelpfeife genau eingepasst werden. Beteiligt sind neben dem deutschen Unternehmen auch die Werkstatt Zych (Wołomin/Polen) für das Gehäuse und das Tragwerk sowie der Orgelbau Thomas aus Belgien.

Schon besteigt Andrzej Kriese geschwind die nächste Ebene der Gerüste: Zwei Kilo Blattgold haben die Verzierungen erhalten, sagt er – ohne aus dem Atem zu kommen. Die Holzschnitzereien finden sich auf 350 Quadratmetern und wiegen 30 Tonnen. Während sich diese Zahlen noch im Kopf drehen, geht es immer höher hinauf. 

Für den umfangreichen barocken Figurenschmuck der Orgel gab es eine eigene Werkstatt. Dies ergänzt der Orgelbauer Philipp Klais telefonisch von seinem Bonner Stammsitz. Er führt in vierter Generation die Firma. In diesem Atelier konnten die „Bildhauer unbelastet von den technischen Fragen des Orgelbaus an den Figuren arbeiten“.

Geformt haben die Künstler den Figurenschmuck zunächst als Ton-Plastiken nach den Fotos aus der Kriegszeit. Dann entstanden Gipsabgüsse, mit deren Hilfe geprüft wurde, ob sie mit den Proportionen auf den Fotos übereinstimmten. Schließlich ließen sich nach all den Anpassungen die zwölf großen Figuren und weitere Schmuckelemente aus Lindenholz schnitzen.

Auch wenn gut 800 Kilometer zwischen Bonn und Breslau liegen, so ist die Firma doch solche Distanzen gewöhnt, erklärt Philipp Klais. Das sei ja auch nicht viel weiter als ins bayerische Traunstein, meint er. Dort war seine Firma ebenfalls an einem Orgelbau-Projekt beteiligt. Und genauso an dem Instrument an der Erlanger St.- Matthäus-Kirche, das genau an einen denkmalgeschützten Raum angepasst werden musste – und trotzdem seine gesamte Klangqualität ausschöpfen sollte (wir berichteten am 25. Juli).

Bonhoeffers Breslau

Ebenfalls nationenübergreifend ist das Denkmal Dietrich Bonhoeffers von Karl Biedermann, das seit 1999 vor der Breslauer St.-Elisabeth-Kirche steht. Schließlich erblickte der Theologe Anfang 1906 in der Oder-Stadt das Licht der Welt und wurde in der St. Elisabeth-Kirche getauft. 

Die Familie Bonhoeffer wohnte damals in einer Villa unweit der dortigen Nervenklinik und gegenüber dem Laurentiusfriedhof, zu dem bereits ein Spaziergang am Allerheiligenabend führte (vgl. Ausgabe vom 14. November).  Vater Karl Bonhoeffer war Leiter der Psychiatrischen- und Nervenklinik vor Ort und kümmerte sich vor allem um Alkohol- und Delirium-Kranke. 

Vielleicht hat sich der kleine Dietrich auch noch an den „himmlischen“ Orgelklang in der St. Elisabeth-Kirche erinnert – schließlich spielte er selbst hervorragend Klavier. 1912 folgte der Vater einem Ruf an die Charité-Klinik nach Berlin, Dietrich wuchs dort auf. Die Leitung der Breslauer Klinik übernahm ein gewisser Alois Alzheimer.

Das Breslauer Bonhoeffer-Denkmal ist ein Zwilling der Biedermann-Skulptur an der Berliner Zionskirche. Dort sammelte Dietrich Bonhoeffer 1931 erste Erfahrungen in der Konfirmandenarbeit. Biedermann hatte die Plastik 1987 für die Zions-Gemeinde modelliert. Die Staatssicherheit der DDR verhinderte die Aufstellung, da die Gemeinde in der Bürgerrechtsbewegung führend war. Erst 1989 nahm das Denkmal Formen an und ließ sich 1997 vollenden.

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=> Mehr zur Orgelbaufirma Klais online unter https://klais.de