Jagt der Liebe nach

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt über die Kraft der Liebe

Jagt der Liebe nach! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber darum, dass ihr prophetisch redet!

aus 1. Kor 14

„Wird denn unsere Liebe groß genug sein?“, fragt die Braut fast verzagt, nachdem wir im Traugespräch das Hohe Lied der Liebe (1. Kor 13) in Auszügen als Lesungstext für die Trauung ausgewählt haben. Es endet mit den bekannten Wor-
ten: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ 

Ich frage nach: „Woran merken Sie denn jetzt gerade, dass Ihre Liebe groß genug ist?“ „Daran, dass wir die richtigen Worte finden“, antwortet der Bräutigam, „so wie in den letzten Monaten, als wir uns gegenseitig getröstet haben, wenn wir die Hochzeit schon wieder verschieben mussten.“ „Oder als du mich aufgebaut hast, als ich um meinen Job fürchtete und ganz am Ende war“, wirft die Braut ein. „Und als du mich ermahnt hast“, erinnert sich der Bräutigam, „doch meine Schwester zur Hochzeit einzuladen, obwohl sie mich in letzter Zeit oft furchtbar nervt.“

Trösten, aufbauen, ermahnen, das sind die Merkmale der prophetischen Rede. Damit sie diese Wirkung entfalten kann, muss die prophetische Rede zuerst eines sein: Verstehbar. Mein Brautpaar findet klare, verständliche Worte für einander. Aber wie ist es in der Gemeinde? Verstehen wir uns untereinander? Vor allem aber: Versteht uns jemand, der oder die von außen kommt? Ein Unkundiger oder Ungläubiger – wie Paulus sagen würde? Kirchenferne, wie wir es nennen? 

Jan Feddersen und Philipp Gessler bezweifeln dies in ihrem Buch „Phrase unser“. Sie werfen der kirchlichen Sprache vor, „so zu reden, dass man ja niemanden vergrault, verschreckt oder verärgert“. Kirchliche Sprache sei „in weiten Teilen eine Sprache der Vorsicht, ja der Angst, sie meidet Klarheit und verdeckt Verantwortung.“ Paulus fordert im Predigttexte eine andere Sprache. Er verlangt, dass in der Gemeinde so geredet wird, dass auch Kirchenferne die Wahrheit über sich selbst erkennen und niederfallen und Gott anbeten. 

Die Wahrheit über jede und jeden von uns ist, dass unsere Liebe nie groß genug ist. Das spürt auch die Braut und deshalb stellt sie ihre verzagte Frage. Es gibt nur einen, dessen Liebe allumfassend, überfließend und grenzenlos ist: Gott. „Gott ist die Liebe“ (1. Joh 4,8) und wie diese Liebe beschaffen ist, beschreibt 1. Kor 13: Sie ist langmütig und freundlich, sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.

Nach dieser Liebe sollen wir streben, ihr nachjagen, wie Paulus es sagt, denn festhalten lässt sich die Liebe nicht. Sie entweicht immer wieder und will täglich aufs Neue gesucht werden. So wie Gott. Wer täglich im Gebet um die Gegenwart Gottes und der Liebe ringt, wird bescheiden und dankbar. Zugleich wächst aus diesem Ringen die prophetische Rede: Worte, die trösten, aufbauen, ermahnen. Klar, verständlich und verantwortungsbewusst. Dies gilt in der Gemeinde wie auch in der Ehe. 

Dr. Nina Lubomierski, Dekanin aus Landshut