Vermeintlich totgeglaubter Busch beginnt zu leben

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Inge Wollschläger im Editorial für das Evangelische Sonntagsblatt aus Bayern

Editorial im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern von Inge Wollschläger

Vor meinem Haus steht ein „dröger“ Busch – wie meine Oma gesagt hätte. Rund geschnitten wie ein zu groß geratener Buchsbaum mit braunen, vertrockneten Blättern. Wenn der Wind darüber streicht, hört man ihn leise rascheln. Wenn man ihn so sieht, glaubt der Pflanzenunkundige – so wie ich: Den hat einer vergessen zu entsorgen. Nur die Größe des Gesträuchs lässt einen stutzen. Vielleicht hat sich ja einer doch etwas dabei gedacht, ihn stehen zu lassen?

Kaum kommt nun die Frühlingssonne und beleuchten ihn mit neuem Glanz glaubt man, seinen Augen nicht zu trauen. Zwischen all dem tote Blattwerk mischt sich junges, frischen Grün unter. Hier ein zarter Flaum, dort ein neues Blättchen, das sich seinen Weg ans Licht sucht. 

Der vermeintlich totgeglaubte Busch beginnt zu leben. Jeden Tag kann ich förmlich zusehen, wie sich das Neue ausdehnt und das Alte, das Verdorrte unter zartem Grün nach und nach verschwindet. 

„Das Schöne am Frühling ist, das er gerade immer dann kommt, wenn man ihn am dringendsten braucht“, soll der Schriftsteller Jean Paul vor vielen Jahren geschrieben haben. 

Der Winter war lang. Der Frühling eher schwächlich und kalt. Da gab es wenig, was einen in einer so herausfordernden Zeit wie der unsrigen hätte aufbauen können. 

Und dann passiert es doch wieder jedes Jahr aufs Neue. Wenn man denkt: Ach, ich lasse die Winterjacke einfach bis zur nächsten Saison an! Dann passiert es: Der Frühling, an den man nicht mehr glauben konnte, kommt mit Macht. Er verdrängt das abgestorbene, zieht der Natur ein neues Kleid an und wärmt unsere Haut bis tief in unser Herz hinein. 

Das Abgestorbene macht neuem Leben Platz. Diesen Busch möchte ich am liebsten überall herumzeigen. Meinen Senioren, die ich betreue und denen es in ihrer Einsamkeit oftmals so sehr an Hoffnung mangelt. Den Menschen, die Corona Erkrankte pflegen und gleichzeitig in den Medien sehen, wie wenig ernst manche diese Pandemie nehmen. Den Kindern, die ihre Freunde schon so lange nicht mehr  unbeschwert gesehen haben. Ihnen – und so vielen anderen – möchte ich diesen Busch zeigen als Zeichen der Hoffnung. 

Der Frühling lässt einen mit allen Sinnen erleben, wie Neubeginn aussieht. Jahr für Jahr und immer wieder wächst mitten in all der Hoffnungslosigkeit Neues.