Corona als „Brandbeschleuniger“ für Neues

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Teilnehmerin an einem Online-Gottesdienst. Foto: epd/F
Teilnehmerin an einem Online-Gottesdienst. Foto: epd/F

Umfassende Studie sieht digitale Kirchen-Angebote in der Krise als Zukunftschancen

Die Corona-Pandemie mit ihren Beschränkungen stellt auch die Kirchen vor Herausforderungen: Gottesdienste, Angebote der Seelsorge und Begleitung sind wegen der Hygienevorgaben oft nur digital möglich. Eine konfessionsübergreifende und internationale Studie der Kirchen erforschte diese Herausforderungen seit Beginn der Pandemie. 

Viel Digitales, wenig Analoges, manchmal etwas Hybrides – so lässt sich das vergangene Corona-Jahr in vielen Kirchengemeinden gut zusammenfassen. Dass in der „Zwangs- Digitalisierung“ auch Chancen für die Kirchen liegen, zeigen die ersten Ergebnisse der CONTOC-Studie („Churches Online in Times of Corona“), die nun bei einer Online-Tagung vor gut 200 Interessierten vorgestellt wurden. 

Federführend mit daran beteiligt ist die Würzburger Religionspädagogik-Professorin Ilona Nord: Die Studie sei „von kirchenhistorischer Bedeutung“, sagte sie – mit weiter internationaler Beteiligung sowie einem breiten ökumenischen Ansatz. Neben Würzburg nahmen auch Forschungsinstitute in Frankfurt am Main, Zürich und St. Gallen sowie das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) daran teil.

Ausprobieren neuer Ideen

Nord erklärte, viele Befragte hätten zurückgemeldet, dass sie in der Corona-Krise auch Chancen sehen. Durch die Einschränkung des üblichen Gemeindelebens wegen des Infektionsschutzes hätten sie die Möglichkeit erhalten, bestehende Angebote zu hinterfragen und zu verändern. Die Professorin zitierte bei der digitalen Vorstellung der Studie einen Befragten: Die Corona-Pandemie habe Gemeinden „zumindest Zeit geschenkt, Neues auszuprobieren und zu wagen, die wir sonst nicht haben“. Ein Befragter erklärte auch, Corona habe der Kreativität in seiner Gemeinde „erstaunlich gutgetan“.

Weltweit wurden mehr als 6.500 Pfarrerinnen, Pfarrer und Hauptamtliche in der Seelsorge befragt. Gut 3.900 von ihnen kamen aus Deutschland. Zum Netzwerk für diese Studie gehören etwa Forschende aus Singapur, Schweden, Australien, den USA, Brasilien, Ungarn, Südafrika, Großbritannien. Doch beklagte etwa eine deutschsprachige Teilnehmerin aus Rumänien bei dem Online-Treffen, dass die Befragung an ihr vorbeigegangen sei.

Wie die Befragung stattfand

Die Fragebögen verteilten die Forschenden in Deutschland über die Landeskirchen und Bistümer. Auf evangelischer Seite variierte die Ausschöpfungsquote zwischen fünf Prozent für Württemberg und 35 Prozent für Kurhessen-Waldeck. 14 Prozent der Befragten stammten aus der Bayerischen Landeskirche. Auch auf katholischer Seite gab es große Unterschiede: Aus Eichstätt stammten nur 0,1 Prozent der Befragten, aus Augsburg 14,5 Prozent.

Während in den evangelischen Kirchen fast nur Pfarrerinnen und Pfarrer – und von ihnen ein Großteil aus dem Gemeindedienst – an der Befragung teilnahmen, ist das Bild auf katholischer Seite differenzierter: Neben Priestern (29,5 Prozent) beteiligten sich viele Pastoralreferentinnen und -referenten sowie Gemeindereferentinnen und -referenten (jeweils mehr als 27 Prozent) daran. Die Befragung fand nach dem ersten Lockdown zwischen Ende Mai und Mitte Juli 2020 statt. Rund 40 Prozent der Befragten waren 51 bis 60 Jahre alt – auf evangelischer Seite 46 Prozent. Die Altersstufen direkt darunter und darüber waren mit jeweils rund 15 Prozent vertreten.   

Erste Ergebnisse der Studie

Erste Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass mehr als 70 Prozent der Befragten aus Deutschland in Digitalisierungsprozessen vor allem Chancen und weniger Risiken sähen. Man könne durch sie Menschen erreichen, die aus verschiedenen Gründen nicht an Präsenzveranstaltungen teilnehmen können. 

Nur jeder fünfte der Befragten antwortete, dass es diakonische Online-Angebote in seinem Gemeindeumfeld gegeben hätte. Dies ließ sich unterteilen in Spenden-Aufrufe für Hilfswerke, Online-Foren für Helfende, Solidaritätsaktionen und Publikationen von Hilfsangeboten. 

Mehr Menschen erreicht

So standen auch in der ausführlichen ersten Hälfte der Online-Veranstaltungen besonders digitale Gottesdienstangebote im Mittelpunkt der Auswertung. Die Mehrheit der Befragten sah dies „als Ergänzung, Notbehelf und nicht als Ersatz“. Persönliche Kontakte sind laut den Studienteilnehmern im kirchlichen Kontext weiterhin unverzichtbar. Und viele der Befragten erklärten, dass Online-Gottesdienste mehr Menschen und neue Zielgruppen erreichten als Präsenz-Gottesdienste. Viele meinten, dass beim ersten Lockdown mehr Menschen religiöses Interesse gezeigt hätten.

Wort-Gottesdienste und geistliche Impulse boten die Seelsorgenden besonders an. Allerdings gaben auch 20 Prozent der Evangelischen und 36 Prozent der Katholiken an, im Lockdown keine digitalen Gottesdienste angeboten zu haben. Für viele der Befragten bedeuteten sie ein ergänzendes Angebot. Sie könnten traditionelle Gottesdienste aber nicht ersetzen – auch wenn sich so neue Personenkreise erreichen ließen. Abendmahlsgottesdienste feierten die Evangelischen digital nur eingeschränkt. Gerade die Resonanz beim Gemeindegesang wurde vermisst. Doch spielt er bei analogen Gottesdiensten wirklich noch eine so große Rolle? 

Weiteres Nachdenken über Corona-Bedingungen und die Grenzen der Studie

Angemahnt wurde aber für die Zukunft mehr theologische Reflexion über die digitalen Angebote, eine bessere Weiterbildung und Vernetzung, die weitere Förderung von Freiwilligen und Ehrenamtlichen auf diesen Gebieten und eine bessere Bündelung regionaler Angebote. 

Weit mehr als die Hälfte der Befragten wollte auch ihre Online-Angebote in Nach-Corona-Zeiten weiterführen. Doch dachten manche auch darüber nach, ob ihre Arbeitsauslastung dies zulassen würde. Schwachstellen und Oberflächlichkeiten in der Gemeindearbeit seien aber durch Corona deutlicher geworden. Die Krise wirke wie „ein Brandbeschleuniger“ auf neue Formen der Gemeindearbeit ein. Da hofften die Befragten auf größere Offenheit. 

Aber sie sahen sie zumeist nicht in ihrer Rolle infrage gestellt. Die
Interviewer wohl auch nicht. Die Studie untersuchte wesentlich die Selbstreflexion der Pfarrer. Interessant wäre gewesen, mehr darüber zu erfahren, wie die Gemeinde mit den Ideen ihrer Hirten umgehen. 

Offenbar bedeutete die Studie einen großen methodischen Aufwand – das wurde an mehreren Stellen der Präsentation deutlich. Wirklich überraschende Erkenntnisse zeigte sie kaum. Ist eine Kirche der Zukunft ohne einen solchen Dialog noch lebendig? 

=> Mehr unter https://contoc.org/de/contoc/