Christliche Lebenskunst köstlich zubereitet

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Stephan Michels, kaufmännischer Leiter am Wildbad, Essenszubereitung mit Küchenchef Christoph Friese und Wolfgang Schuhmacher, der Leiter der Tagungsstätte. Fotos: Kellner und Heise (Mitte)/PR

Wildbad Rothenburg besinnt sich auf nachhaltige Impulse beim Wirtschaften

„Fair-Trade Kaffee ist ja gut und schön – aber wäre nicht anderes noch wichtiger?“ Solche Reaktionen hat Stephan Michels durchaus beobachtet, als die ersten Diskussionen im Rothenburger Wildbad über eine neue verantwortliche Ausrichtung aufflammten. Er ist wirtschaftlicher und stellvertretender Leiter vor Ort. Das war vor fast sieben Jahren. Seit 2014 ist Nachhaltigkeit und ökologisches Wirtschaften im Rothenburger Wildbad ein Thema, das ganz Groß geschrieben wird – auch jenseits der Anforderungen des „Grünen Gockels“. 

Das Thema brannte vor allem den Mitarbeitenden in Küche und Service auf den Nägeln, berichtet Stephan Michels. Sie holten sich Vertreter oder Vertreterinnen aus allen Abteilungen dazu. Und die Leitung – die Michels repräsentiert. „Als wirtschaftlicher Leiter muss ich erst einmal die Spaßbremse sein“, meint er schmunzelnd. Nachhaltig, fair und bio einzukaufen – das kostet natürlich mehr. Bei Geflügel etwa den dreifachen Preis. Sollten die Menschen, die die Tagungsstätte aufsuchen, dann weniger essen? Das kann ja nicht sein!

Kriterien der Zertifizierung nach EMAS und EMAS

Auch sonst gab es erst einmal viele Fragen zu klären: Wo stand das 37-köpfige Team aktuell? Auf welche Kriterien wollen sie sich überhaupt verpflichten? Anregungen dazu fanden sich vor allem in der Zertifizierung nach EMAS und EMAS Plus. Hinter diesen Kürzeln verbirgt sich das „Gemeinschaftssystem für Umweltmanagement und Umweltbetriebsprüfung“, auf Englisch mit den namensgebenden Kürzeln „Eco-Management and Audit Scheme“. Dies zielt unter anderem auf Unternehmen und sonstige Organisationen, „die Energie- und Materialeffizienz systematisch verbessern, schädliche Umweltwirkungen und umweltbezogene Risiken reduzieren wollen“. Das klingt kompliziert, bot aber einen akzeptablen Anforderungskatalog für die Bedürfnisse des Wildbads.

2018 stieß Wolfgang Schuhmacher als neuer Leiter der Tagungsstätte zu dem Team, kurz danach noch Christoph Friese als neuer Küchenchef. 

Für Schuhmacher sind die „Leitgedanken der christlichen Lebenskunst“ und ethische Grundgedanken inspirierend. Das lässt sich für ihn auch beim Essen und Trinken verankern. „Kochen ist mehr als ein Handwerk“, erläutert er. Dies soll nicht nur nachhaltig geschehen und dabei appetitlich munden, sondern auch „stille Impulse an den Gast“ geben. Es zeigt Möglichkeiten auf, regionale Produkte oder etwa alte Obstsorten zu stärken, aber auch die Haushaltsführung ethisch zu betrachten. Natürlich kommt im Wildbad Fleisch auf den Tisch – doch nachhaltig und aus der Region. Es wird dann ein ganzes Reh oder ein halbes Rind von der Schnauze bis zum Schwanz verarbeitet. 

Nachhaltigkeit zu teuer?

Die Frage nach den Kosten stellt sich für Stephan Michels noch einmal ganz neu, wenn der Blick darauf gelenkt wird, welchen Preis die Umwelt und die Gesellschaft für ein Produkt zahlt. Dies deckt bei herkömmlicher Wirtschaft nicht der Einkaufspreis, sondern viel Folgekosten zahlt die Umwelt oder gar erst die nachfolgende Generation. Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitbestimmung lassen sich nicht in ein Preisschild umrechnen. Doch meldeten sich Menschen, denen diese Grundsätze wichtig waren, gezielt am Rokoko-Bau und gaben als Mitarbeitende dann wertvolle Impulse.

In diesem Zusammenhang stellen sich die Herausforderungen
der Gemeinwohl-Ökonomie-Bilanz (GWÖ). „Natürlich sind wir als Betrieb gewerblicher Art und Körperschaft des öffentlichen Rechts auch wirtschaftlichen Zwängen unterworfen“, gibt er zu. Doch das Ziel der GWÖ-Bewegung ist es, das Gemeinwohl in den Fokus zu rücken und Unternehmen und Organisationen dazu anzuregen, ihr eigenes Handeln und dessen Auswirkungen genauer zu hinterfragen. 

Christliche Lebenskunst durchbuchstabieren

„Mit unseren Haustagungen, die sich unter dem Leitbegriff der ‚christlichen Lebenskunst‘ mit den Facetten christlichen Lebens befassen, laden wir zur Selbstfindung, zum Innehalten und Austausch mit anderen Seminarteilnehmenden, zum Naturerleben oder zur Körperarbeit unter christlicher Perspektive ein“, ergänzt Schuhmacher. Es gibt dort rund 18.000 Übernachtungen. Und allein zu den Kulturveranstaltungen begrüßt das Wildbad pro Saison rund 12.000 Gäste. 

Und dann kam vor einem Jahr Corona: Das winzige Virus führte das Prinzip „Wachstum um jeden Preis“ ins Absurde. Tagungen mussten wie überall abgesagt werden, praktisch von heute auf Morgen gab es keinen Gast mehr. Was tun mit den schon vorhandenen Lebensmitteln? Sie ließen sich ja nicht in die Tauber kippen. Allein eine Woche lang, weckte das Küchenpersonal verderbliche Ware ein. Es backte Kuchen, den man länger lagern konnte, oder entwickelte weitere Ideen zum Haltbarmachen. „Es duftete im ganzen Haus, erinnert sich Schuhmacher. „Und manchmal gab es auch etwas zum Probieren.“

Freiräume durch die Krise

Die Krise schuf für das Wildbad-Team weitere Freiräume, um nachhaltige Konzepte weiter zu entwickeln, zu renovieren, Netzwerke zu knüpfen und die bisherigen Grundsätze zu überdenken. Sie hat gerade dem Bedürfnis nach Neuorientierung weiteren Auftrieb verliehen. Und das natürlich längst nicht nur beim Fairtrade oder Bio-Kaffee.

So stellte das Wildbad in den letzten Monaten nicht nur Lieferketten auf den Kopf, sondern prüfte Entscheidungs- und Mitbestimmungsprozesse im Haus auf Herz und Nieren. Die Mitarbeitenden dokumentierten alle Bildungsformate und Kulturangebote detailliert, berechneten genau den CO2-Fußabdruck pro Gast oder gestalteten die Webseite neu. Sie stehen nun in den Startlöchern, um hoffentlich bald das Wildbad aus seinem monatelangen Dornröschenschlaf mit neuen Impulsen aufzuwecken. Susanne Borée

Weitere Impulse zur Lebenskunst im Wildbad online: https://wildbad.de/kuechenphilosophie