Rabbiner Walter Homolka über die Leben-Jesu-Forschung aus jüdischer Sicht
Es war ein Skandalbild. Die Darstellung „Der zwölfjährige Jesus im Tempel“ von 1879 schlug hohe Wellen: Ursprünglich stellt der jüdische Maler Max Liebermann den jungen Jesus als heftig gestikulierenden, barfüßigen Jungen mit kurzem Rock Hakennase sowie der Ansatz der typischen Schläfenlocken dar.
Wenige Jahre später beugte sich Liebermann dem Druck und überzeichnete den jungen Jesus: Die Haare des Jungen erschienen nun heller und ohne Lockenansatz, er gestikulierte weniger ausgreifend und erhielt Sandalen sowie ein längeres Gewand. Doch erscheint er nun jünger als zwölf Jahre zu sein. Jüdischen Kritikern wiederum erschienen die Priester seien nicht würdevoll genug dargestellt. Doch hier blieb Max Liebermann bei seiner Ursprungsversion.
Mit diesem Bild begann Rabbiner Walter Homolka seinen Online-Vortrag bei der Stadtakademie Nürnberg Mitte März zum Thema „der Jude Jesus – eine Heimholung“. Mehr als 50 Teilnehmende aus ganz Deutschland waren zugeschaltet.
In seinem gleichnamigen Buch beschreibt Homolka die wichtigsten jüdischen Perspektiven auf Jesus. Er diskutiert das wachsende jüdische Interesse am Nazarener seit der Aufklärung und heutige jüdische Perspektiven auf Jesus in religiösen und kulturellen Zusammenhängen.
Jesus als Beispiel jüdischen Leids?
Er ging in seinem Vortrag längst nicht nur auf Max Liebermann ein, sondern zeigte mehrere Werke der bildenden Kunst israelischer Künstler, die sich mit Jesus beschäftigen. Da erscheint Jesus öfter vom „gemeinsamen jüdischen Leid“ gezeichnet. Etwa in Moshe Hoffmanns Werk „6.000.001“, in dem Jesus vom Kreuz abgenommen und der Deportation zugeführt wird. Auf der Foto-Installation „Das letzte Abendmahl“ erscheinen Jesus und die Jünger in ähnlicher Anordnung wie in Leonardo da Vincis Werk. Doch tafeln sie an Klapptischen – als israelische Soldaten im vertrauten Gespräch, deren Mittelpunkt wie isoliert erscheint.
Oder aus der Literatur nannte Homolka den Roman ‚„Judas“ von Amos Oz, in dem die jüdische Leben-Jesus-Forschung und die Gefahr des Verrats thematisiert ist.
Wurzeln Jesu im Judentum
„Der Glaube Jesus eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns.“ Mit diesem Zitat Schalom Ben-Chorins fasste Homolka die jüdische Auseinandersetzung mit Jesus zusammen, die nicht nur ablehnend war. Darüber hinaus hatten sich etwa auch Pinchas Lapide, Leo Baeck oder Abraham Geiger von jüdischer Seite aus mit Jesus beschäftigt.
Es ist auch ein Thema, das Walter Homolka umtreibt, das zeigte sich deutlich während der Online-Präsentation. Er hatte selbst die Vorträge Schalom Ben-Chorins in den 1980er Jahren noch erlebt. Dann aber war es still um diese Fragen geworden, beklagt er, nachdem über die Verwurzelung Jesu im Judentum erst einmal grundsätzlich Übereinstimmung herrschte.
Ursprünglich erblickte Walter Homolka 1964 in einer katholisch-evangelischen Familie aus Niederbayern das Licht der Welt. Im Alter von 17 Jahren trat er ins Judentum ein, da ihn besonders die jüdische Lehre „eines verborgenen Gottes“ faszinierte. Er studierte unter anderem am Leo Baeck College und King‘s College London, wo er 1992 promoviert wurde. 1997 erfolgte seine Ordination zum Rabbiner. Homolka ist seit 2002 Rektor des Abraham Geiger-Kollegs an der Universität Potsdam, des ersten Rabbinerseminars in Deutschland seit dem Holocaust.
„Wenn Jesus aus dem Judentum heraus zu verstehen ist: Was bedeutet das für das Judentum?“ Durch diese Frage eröffnete Walter Homolka einen weiteren Horizont. Erscheint er für Juden als „großer Bruder“ als Beispiel des „leidenden Gottesknechtes“ oder als Ethik-Lehrer? Wie jüdisch ist Jesus? Das war nicht nur eine Frage für Max Liebermann.
Die Leben-Jesu-Forschung seit dem 19. Jahrhundert bedeutete eine besondere Herausforderung für die christliche Theologie: Denn wie ließen sich die neuen Erkenntnisse über den historischen Jesus mit dem dogmatischen Anspruch vereinbaren, dass er außerdem noch als „wahrer Gott“ erscheint?
Jesus aus jüdischer Sicht
Die jüdischen Gelehrten, die sich mit dieser Frage beschäftigten, „hatten das Problem nicht“. Jesus kann überhaupt nicht der Messias sein, so formulierte es Shalom Ben-Chorin, da nach Golgatha keinerlei Besserung der Welt eingetreten ist. Vielmehr sah er in ihm einen „tragisch Scheiternden“. Das tue jedoch seiner Größe keinerlei Abbruch, sondern er erscheine auf diese Weise als der „exemplarische Mensch“. Das Prophetentum sieht Homolka so „als mögliche Begegnungsstätte“ zwischen den beiden Religionen.
Gerade das liberale Judentum arbeitet sich an der Herausforderung ab, die die Anfragen Jesus ihm bieten, so Homolka. Doch warum hat das Christentum eine solch breite Wirkung gehabt? Und bot trotz aller Bedrohung für Juden auch immer wieder positive Impulse? Kann sich da nicht doch das Wirken Gottes zeigen? So hätten auch immer wieder Vertreter des liberalen Judentums gefragt, während Jesus für die Orthodoxen eher als ein Abgefallener gelte.
Jesu Verankerung im Judentum bietet eine Herausforderung für Christen heute und die Chance auf fruchtbaren jüdisch-christlichen Dialog. „Entrümpelte“ Jesus das Judentum, wie Adolf von Harnack an der Wende zum 20. Jahrhundert meinte? Oder war das Judentums selbst kurz nach der Zeitenwende im Wandel begriffen?
Für den christlich-jüdischen Dialog bleibt die Aufgabe, eine Christologie zu formulieren, die das Judentum nicht herabwürdigt. Aber die gleichzeitig auch die Heilsgeschichte der Auferstehung nicht aufgibt.
Walter Homolka: Der Jude Jesus. Eine Heimholung, Verlag Herder 2020, 256 Seiten, ISBN 978-3-451-38356-4.
Programm der Stadtakademie Nürnberg im Frühjahr und Sommer 2021 https://www.evangelische-stadtakademie-nuernberg.de zum Herunterladen, auch mit weiteren Hinweisen zur Veranstaltungsreihe „Tacheles – jüdisches Leben heute“.