Die große Liebeserklärung Gottes

691
Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt von Pfarrer Sebastian Stahl aus Kaufbeuren

Ich ermahne euch nun durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene. Wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist.

aus Römer 12, 1–8

An ihrem Hals kann man die Spuren des Seidenschals noch sehen, mit denen sie sich kurz vor Weihnachten bis zur Bewusstlosigkeit strangulierte. Und auch die Schnitte am Unterarm sind noch nicht vernarbt.  Deutlich sind die Umrisse des Blauwals zu erkennen, den sie sich nachts in die Haut ritzte. Luise. Gerade 15 Jahre alt. Luise ist eine der Jugendlichen, die die „Blue-Whale-Challenge“ mitmachten: ein teuflisches Spiel, das seit Jahren durchs Internet geistert und auf der ganzen Welt viele junge Menschen magisch anzieht. 50 Tage, 50 Aufgaben, ein Kick nach dem anderen. Tag 50: der Sprung vom Hochhaus. 

Als ich von Luise hörte, war ich entsetzt und traurig. Sie war ein unglückliches Mädchen, fühlte sich einsam – und fand im Internet die falschen Freunde. Ich bin sehr froh, dass ihre Eltern die Veränderungen an ihrer Tochter bemerkten und sie retteten. 

Das Leben macht Sinn! Gott ist da!

Mit 15 keinen Sinn im Leben sehen, das ist furchtbar! Das soll nicht sein! Gerade die jungen Menschen sollen doch leben, lieben, unbeschwert sein! Gerade sie sollen verstehen: Dein Leben macht Sinn! Gott hat Dir Gaben in die Wiege gelegt, und es ist wichtig, dass Du sie nutzt! 

Als meine Familie und ich in diesem Jahr den Weihnachtsbaum und Christbaumschmuck wegräumten, ließen wir die Krippe noch stehen. Nur den Futtertrog mit dem neugeborenen Heiland: Gott ist Mensch geworden! Der Trost der Weihnachtsbotschaft ist mir in diesem Jahr besonders wichtig. Klar, zum einen weil so viele Menschen in dieser langen Zeit der Pandemie die Hoffnung verlieren und sich um ihre Gesundheit und um ihre Existenz ängstigen. Zum anderen aber auch, weil das Kind in der Krippe die große Liebeserklärung Gottes an uns alle ist! Und sie gilt für immer! Das wurde mir so deutlich, als ich von Luise hörte, die in ihrem Leben keinen Sinn mehr sehen konnte. Weihnachten: Gott wird Mensch, weil er Lust dazu hat! Und auch wir sind seine Kinder, Ausdruck seiner Liebe zur Welt, ausgestattet mit einer Kombination von Eigenschaften und Gaben, die mit jedem Menschenkind einmalig ist! „Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist!“, schreibt Paulus an die Christen in Rom. Das gilt uns allen. Das gilt Luise! 

Paulus kennt die Nöte der Menschen, denen er schreibt. In seinen Briefen erweist er sich oft als sehr feinfühliger Therapeut! Dein Leben, dein Leib ist heilig, schreibt er an die römische Christengemeinde. Mein Leben: ein Geschenk Gottes! Und mein Atem: Teil des göttlichen Atems. Durch mich möchte sich Gott ausdrücken, durch die Gaben, die er mir schenkte, soll ich sein Werkzeug sein und meinen Teil dazu leisten, dass die Welt ein friedliches und freundliches Gesicht hat – mich also „hingeben“, so drückt es der Apostel aus, als „lebendiges und heiliges Opfer“. 

Unser Engagement, unser Einsatz ist gefragt. Die Werkzeuge dazu haben wir von Gott bekommen.