Andacht: Einer, der Hilfe erfahren hat

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Andacht im Evangelischen Sonntagsblatt aus Bayern

Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer*, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

aus Sacharja 9, 9–10

Die Adventszeit beginnt mit einer großen Friedensbotschaft! Sie erzählt von einem König, der alle Menschen zum Frieden aufruft – ja ihn sogar gebietet! Geht das? Kann man Frieden und Versöhnung befehlen? Die Mahnung an die Kinder: „Nun streitet mal nicht und vertragt euch“ fruchtet meist wenig. Befohlene Liebe und Eintracht sind meist kurzlebig. Wie zerbrechlich Friedensabkommen sind, zeigt ein Blick in die Geschichte der Menschheit. Wie oft werden Waffenruhen oder Friedensabkommen gebrochen. Die kriegerischen Konflikte in Syrien, um Bergkarabach, in Äthiopien oder zwischen Israel und Palästina, sind nur ein paar aktuelle Beispiele. Von einem Jauchzen Jerusalems oder der Freude, der Tochter Zions, keine Spur. 

Auf der anderen Seite gibt es aber auch hoffungsvolle Beispiele. Man denke nur an die 75 Jahre, die wir in Deutschland seit dem Ende des 2. Weltkrieges in Frieden leben duften. Oder die Versöhnungsprozesse in Südafrika oder El Salvador – wie brüchig und langwierig sie auch sein mögen. Frieden ist möglich, ja! Aber unter welchen Voraussetzungen? Was ist nötig, damit wahrer Frieden entstehen kann? 

Ein Hinweis darauf versteckt sich in den beiden Versen des Propheten Sacharja, in der Lutherübersetzung von 2017, in einem kleinen Stern hinter dem Wort „Helfer“. Dieser Stern weist uns als Leser auf die Möglichkeit einer anderen Übersetzung hin. Anstatt „Helfer“ könnte man an dieser Stelle auch lesen: „einer, der Hilfe erfahren hat“. Aus der aktiven Rolle des gerechten Friedensstifters wird die passive Rolle dessen, der Hilfe erfahren hat. Oder: Um ein aktiver Friedenshelfer werden zu können, muss ich Frieden und Hilfe erfahren haben. 

Als Christ wird uns diese Versöhnung immer wieder von Gott zugesprochen. Sie ist Anfangspunkt und Triebfeder, sodass wir selbst zu Friedensstiftern in dieser Welt werden können. Das kann im näheren Umfeld der Familie oder Nachbarschaft geschehen, aber auch in der Verbundenheit zwischen Partnerkirchen weltweit. 

Schon längst geht es hier nicht mehr um eine klare Verteilung der Rollen von Helfenden auf der einen Seite und Empfangenden auf der anderen. Wie sehr wir von unseren Partnern auch getragen und beschenkt werden, haben wir bei Mission EineWelt besonders in der Anfangszeit der Corona-Pandemie erfahren. Fürbitten, Gebete und Segenswünsche haben uns erreicht. Sie haben uns getragen und ermutigt. Und sie haben uns noch einmal spüren lassen, dass wir in der Verbindung der weltweiten Christenheit immer beides sind – Empfangende und Gebende. 

Aufgrund dieser wechselseitigen Erfahrungen können wir den Aufruf des Friedensfürsten am Beginn der Adventszeit ernstnehmen. Wir können selbst zu Helfenden werden, weil wir Hilfe erfahren haben. Nicht umsonst ist deshalb mit dem 1. Advent auch immer die Eröffnung der Hilfsaktionen der beiden großen Kirchen in Deutschland verbunden. Sie fußt auf der Erfahrung, dass wir selbst in unserer eigenen Geschichte immer wieder Hilfe erfahren haben. Hilfe, die uns eine Zukunft in Frieden ermöglicht hat. Diese Zukunft soll nun auch den schwächsten Gliedern der Gesellschaft ermöglicht werden. „Kindern Zukunft schenken“ – so das Motto der diesjährigen Aktion von Brot für die Welt. 

Dr. Gabriele und Hanns Hoerschelmann, Direktoren Mission EineWelt

rotabene
An dieser Stelle schreiben verschiedene Autoren für das Evangelische Sonntagsblatt.