Editorial: Unsere innere Einstellung stärken

872
Inge Wollschläger Editorial Hintergrundbild Kraus

Wir stecken wieder mittendrin in Corona-Maßnahmen. Das Virus scheint sich schneller zu verbreiten, als wir „Eigenverantwortlichkeit“ aussprechen können. Die Türen sind erneut in Gastronomie, Theater, Fitnessstudios und vielem mehr geschlossen. Die Not derer, die dort arbeiten, ist groß. Unser aller Leben ist durch diese Pandemie gehörig durcheinandergewirbelt. Wenig ist noch so, wie es einmal war. 

„Was soll denn jetzt noch kommen?“, fragt mich eine 83-jährige Seniorenheimbewohnerin. Es war im Frühjahr äußert schwer für sie, mit der Isolation im Heim umzugehen. Es reicht ihr. 

„Sterben ist auch kompliziert in diesen Zeiten“, gebe ich zu bedenken und erzähle ihr von Beschränkungen und Auflagen bei Krankenhausbesuchen und Beerdigungen. „Ja – das Leben aber auch!“, seufzt sie. 

Nein. Wir können diese Zeit nicht ändern oder uns dagegen wehren. Das einzige, was wir jedoch ändern können, ist unsere innere Einstellung zu den Dingen. Eines meiner persönlichen Vorbilder war und ist der Österreicher Viktor Frankl. Er war jüdischer Abstammung und vor dem 2. Weltkrieg ein bekannter Psychologe in Wien. 1941 verzichtete er auf ein Visum in die USA, um seine Eltern nicht im Stich zu lassen. 1942 wurden sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Er verlor seine Frau, seine Eltern und seinen Bruder in den Gaskammern der Nazis und überlebte schließlich vier Konzentrationslager.

Eine seiner zentralen Erfahrungen ist, dass dem Menschen alles genommen werden kann, bis auf eines: die persönliche Entscheidungsfreiheit, „sich zu den gegebenen Verhältnissen so oder so einzustellen“. Während Viktor Frankl im Konzentrationslager Gelegenheiten fand, das Beste aus seinem Leben zu machen, ärgern wir uns heute über einen stets rutschenden Nasen-Mund-Schutz und das wir nicht auf das nächste, große Familienfest gehen dürfen. 

Frankls Leiden lehrt eine Haltung, dass ich mich – egal, was ich erlebe oder mir zustößt – jeden Tag aufs Neue entscheiden kann, ob ich zum Spielball meiner äußeren Bedingungen werde oder nicht. Vielleicht hilft eine andere Haltung – trotz all der Einschränkungen und Bekümmernisse – diesem etwas Neues und vielleicht auch Gutes abzugewinnen, wenn wir danach Ausschau halten.